Gefecht von Kirchschlag
Bislang einziger Einsatz des Bundesheeres zum Schutz der Landesgrenze mit Waffengewalt
Das Gebiet des heutigen Burgenlandes war jahrhundertelang trotz seiner großteils deutschsprachigen Bevölkerung Teil des Königreiches Ungarn. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg entstanden aus dem Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn im November 1918 eine Reihe von nationalen Kleinstaaten. Das Selbstbestimmungsrecht beanspruchten auch die Bewohner des heutigen Burgenlandes und betrieben den Anschluss an Deutsch-Österreich.
In den Friedensverträgen von St. Germain und Trianon wurden Teile der westungarischen Komitate Pressburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg der Republik Österreich zugesprochen. Abgeleitet von den vier Komitaten, entstand auch der Name "Burgenland" für dieses Gebiet.
Obwohl das offizielle Ungarn diese Regelung anerkannte, bildeten sich in nationalen Kreisen Freiwilligenformationen, die gegen eine Loslösung des Gebietes von Ungarn mit Waffengewalt auftraten.
Als am 28. August 1921 die österreichische Gendarmerie und Zollwache mit rund 2.000 Mann zur Landnahme im Burgenland einmarschierte, kam es sogleich zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Freischärlerbanden. Widerstand erwartend, hatte das österreichische Heeresministerium Einheiten des Bundesheeres für einen Einsatz bereitgehalten. Diese bezogen am 1. September 1921 Stellungen an der ehemals österreichisch-ungarischen Grenze.
Im Raum Kirchschlag stand das II. Bataillon des Infanterieregiments Nr. 5 in einer Stärke von 12 Offizieren, 15 Unteroffizieren und 415 Soldaten unter dem Kommando von Oberst Emil Sommer im Einsatz. Der Bataillonsstab, die 5. Kompanie und die Maschinengewehr-Kompanie befanden sich in Kirchschlag, die 4. Kompanie bezog ihren Verfügungsraum in Hochneukirchen, die 6. Kompanie in Ungerbach. Das Bataillon war dem Kommando der 1. Brigade unterstellt, das seinen Gefechtsstand in der Burg in Wiener Neustadt hatte.
5. September 1921
Um 5 Uhr früh meldete der Gendarmerieposten von Deutsch-Gerisdorf telefonisch, dass er von überlegenen Freischärlergruppen mit Maschinengewehren angegriffen werde und sich zurückziehen müsse. Gleichzeitig wurde auch der Gendarmerieposten Pilgersdorf angegriffen und trat den Rückzug über die Landesgrenze an. Ebenso meldet der Posten in Lebenbrunn, dass er beschossen wurde.
Oberst Sommer alarmierte das Bataillon und erteilte, auf seine Kriegserfahrungen basierend, ruhig und entschlossen seine Befehle.
Die 6. Kompanie beauftragte er zwei Maschinengewehr-Züge nach Lebenbrunn zur Unterstützung der dort in Bedrängnis befindlichen Gendarmen zu schicken und mit dem Rest der Kompanie den Niklasberg zu besetzen.
Die 5. Kompanie erhielt den Auftrag Stellung an der Grenze, die sich ca. 2 km südlich von Kirchschlag befand, zu beziehen, um ein Vorrücken des Gegners auf Kirchschlag zu verhindern und gleichzeitig mit Teilen nach Pilgersdorf vorzugehen, um flüchtende Gendarmen aufzunehmen.
Die Maschinengewehrkompanie hatte Stellungen in der Nähe der Straßenkreuzung der Straßen nach Karl und nach Pilgersdorf zu beziehen.
Der Pionierzug verblieb als Reserve in Kirchschlag.
Um 9 Uhr war die 5. Kompanie auf Höhe des Cholarakreuzes in Stellung gegangen. Die Richtung Osten entsandte Patrouille stieß auf eine Gruppe der Freischärler. Diese waren ob der überhöhten Stellungen im Vorteil und zwangen die Soldaten zum Rückzug. Nur ein schweres Maschinengewehr am Osthang des Hutkogels konnte den weiteren Vorstoß der Ungarn verhindern. Als dieses aber infolge Überhitzung ausfiel, mussten die Österreicher sich bis an den Ortsrand von Kirchschlag zurückziehen. Ein an der Straße nach Karl in Stellung befindliches Maschinengewehr konnte das weitere Vorgehen der Ungarn verhindern und sie zum Rückzug zwingen. Um etwa 13 Uhr endete das Gefecht.
Während der Kampfhandlungen in Kirchschlag meldeten Bewohner des Gehöfts in Lehen eine weitere Freischärlergruppe. Oberst Sommer brachte darauf hin den als Reserve bereitgehaltenen Pionierzug zum Einsatz. Dieser sollte die Verbindung mit der 6. Kompanie am Niklasberg herstellen und ein Vordringen des Feindes verhindern. Es kam zu einem kurzen Feuergefecht, dass die Ungarn zum Absetzen zwng.
Unterdessen hatte die 6. Kompanie das Zurückgehen der Gendarmen aus Lebenbrunn erfolgreich unterstützt.
Gefallene
Das Bundesheer hatte zehn Gefallene und 17 Verwundete zu beklagen. Auf Seiten der Freischärler sind sieben Gefallene bekannt. Ein Zivilist wurde ebenfalls getötet. Die Bestattung von sechs der Gefallenen erfolgte am Ortsfriedhof von Kirchschlag, drei Soldaten wurden in Steinbach beerdigt, 1931 aber exhumiert und auf den Friedhof von Kirchschlag überführt. Ein Soldat erlag im Krankenhaus von Wiener Neustadt seiner während des Gefechts von Kirchschlag erlittenen Verwundung und wurde in Wien beerdigt.
Insgesamt kamen bei Kampfhandlungen bei der Landnahme des Burgenlandes 14 Soldaten und neun Gendarmen ums Leben. Die weiteren vier Bundesheersoldaten fielen Ende September und im Oktober 1921 bei Gefechten in Bruck an der Leitha.
Nach dem Gefecht
Das II. Bataillon des Infanterieregiments Nr. 5 verblieb noch bis zum 25. September 1921 in Kirchschlag und verlegte dann zurück in die Albrechtskaserne nach Wien.
Als am 13. November 1921 mit Zustimmung der Alliierten Kommission das Bundesheer in das Burgenland einrückte, war Oberst Sommer mit seinem Bataillon wieder dabei. Von Bruck an der Leitha aus ging das Bataillon im Rahmen der 3. Brigade vor und namm bis zum 17. November 1921 kampflos den nördlichsten Teil des Burgenlandes (Bezirk Neusiedl am See) in Besitz. Danach wurde die Brigade in den Raum Kirchschlag verlegt, von wo aus das mittlere Burgenland (Bezirk Oberpullendorf) in Besitz genommen wurde.
Bedeutung des Gefechts von Kirchschlag
Die Ereignisse von Kirchschlag verbreiten sich rasch. Die österreichischen, aber auch ausländische Zeitungen berichten vom Erfolg des Bundesheeres. Der Name Emil Sommer wird dadurch allgemein bekannt.
Das Gefecht von Kirchschlag ist das bislang einzige Ereignis in der Geschichte der Republik Österreich, bei dem das Bundesheer zu dem Zweck eingesetzt wurde, zu dem es bestimmt ist: Schutz der Landesgrenze mit Waffengewalt.
Oberst Emil Sommer war damit der einzige Bataillonskommandant, der im Zuge der Landnahme des Burgenlandes zur Verteidigung der Staatsgrenze der Republik Österreich einen Verband im Gefecht führte. Emil Sommer wurde daher durch den Bundespräsidenten mit Wirksamkeit vom 15. Oktober 1924, für seine erfolgreiche Einsatzführung bei dieser ersten Waffentat des jungen Bundesheeres, ehrenhalber der Titel "Generalmajor" verliehen.
Zum Gedenken
Am 10. September 1931 wurde ein von der Marktgemeinde Kirchschlag errichtetes Kriegerdenkmal eingeweiht. Diese trägt die Inschrift:
„Zum Gedenken der am 5.9.1921 im Gefechte bei Kirchschlag gefallenen Angehörigen des nö. Inf. Reg. No 5“
Darunter stehen die Namen jener zehn Angehörigen des Bundesheeres, die bei den Kämpfen ihr Leben verloren haben.
Das unmittelbar an Grenze stehende Cholerakreuz wurde bei den Kämpfen schwer beschädigt. Einige Einschusslöcher wurden bei der Restaurierung bewusst sichtbar gelassen. Im Jahr 1971 wurde davor eine Gedenktafel errichtet, die folgende Inschrift trägt:
„Dies Kreuz war einst Zeuge blutiger Kämpfe. An jenem 5. September des Schicksalsjahres 1921 standen hier Soldaten des II. Bataillons I.R.5 in heldenhaftem Einsatz gegen ungarische Freischaren. Ihre Tapferkeit trug bei, dass Burgenland heute Österreich ist“
Anlässlich der 100 Jahr-Feier des Burgenlandes wurde in der Nähe des Cholerakreuzes von den Gemeinden Kirchschlag und Pilgersdorf ein Gedenkplatz errichtet.
Verfasser
Oberst Thomas Lampersberger
Quellen
- Martin Senekowitsch, Emil Sommer - Ein Monarchist, der für die Republik kämpfte, in: Burgenland schreibt Geschichte, 1921-2021, Band 1, Eisenstadt 2021
- https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesheer_(1._Republik)#Die_Volkswehr_1918-1920
- https://www.meinbezirk.at/oberpullendorf/c-lokales/gedenkplatz-zwischen-pilgersdorf-und-kirchschlag-eroeffnet_a4974088#gallery=null
- https://www.stadtmuseumkirchschlag.at/wp-content/uploads/2021/06/100-Jahre-Gefecht-von-Kirchschlag-Museums-Broschuere.pdf
- https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/fuer-verdienste-um-die-republik-oesterreich