Das Attentat von Sarajevo
Der zündende Funke für den 1. Weltkrieg
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Idee der Vereinigung der Südslawen in einem Staat - Großserbien. Bosnien, die Herzegowina, Montenegro, Serbien, der Sandschak, Albanien, Bulgarien, Dalmatien, Kroatien und Slowenien sollten eine unteilbare Einheit bilden, weil diese Gebiete mit Völkern des „nahezu gleichen Stammes“ besiedelt seien.
Der Realisierung dieser Idee standen jedoch Österreich-Ungarn und vorerst noch das Osmanische Reich entgegen, die große Teile des Balkans unter ihrer Kontrolle hatten.
Bosnien und die Herzegowina waren seit der Annexion im Jahre 1908 offiziell Teil des Staatsgebietes Österreich-Ungarns, nachdem sie bereits seit 1878 durch dieses besetzt und verwaltet worden waren. Dies begründete einen tiefen Konflikt zwischen Serben und dem Habsburgerreich.
Neben politischen Maßnahmen wurde von serbischer Seite auch Gewalt zur Zielerreichung eingesetzt. Die Organisation "Schwarze Hand" (Crna ruka) war eine Verbindung von Offizieren, der mehrheitlich Serben, aber auch einige wenige Kroaten und Bosniaken angehörten, die auch mit terroristischen Mitteln für die Gründung eines großserbischen bzw. südslawischen Nationalstaates kämpfte.
Besuch des Thronfolgers
Am 26. und 27. Juni 1914 nahm Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in seiner Funktion als Generaltruppeninspektor bei den im Bereich des sich westlich von Sarajevo befindenen Ivan-Sattels stattfindenden Manöver des k.u.k. XV. sowie XVI. Korps teil. Für den 28. Juni stand ein Besuch von Sarajevo an Programm.
Franz Ferdinand war dazu am 25. Juni von Triest aus mit S.M.S. Viribus Unitis in den Hafen von Ploče gekommen von wo aus er mit dem Zug in den zwölf Kilometer westlich von Sarajevo gelegenen Kurort Ilidža weiterreiste. Dort traf er mit seiner Frau, Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, zusammen, die mit der Eisenbahn nach Bosnien gereist war.
Trotz Warnungen und Hinweisen auf ein mögliches Attentat wurde der Besuch wie geplant durchgeführt. Auch die Sicherheitsvorkehrungen entsprachen nicht der Bedrohung. Diese Fehleinschätzung erwies sich als fatal. Auch dass der Ablauf des Besuches detailliert in den Zeitungen bekannt gegeben wurde um der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben den Thronfolger zu sehen, erleichterte die Durchführung des Anschlages und war somit ein schwerer Fehler.
Das Thronfolger-Ehepaar wohnte während des Besuches in Ilidža. Am 28. Juni, es war ein Sonntag, stieg man nach einer anfänglichen Fahrt mit der Eisenbahn am Stadtrand Sarajevos auf das Auto um. Franz Ferdinand und seine Frau Sophie fuhren in einer aus insgesamt sechs Autos bestehenden Kolonne durch die Stadt. Sie selber saßen gemeinsam mit dem Landeschef von Bosnien und der Herzegowina, Feldzeugmeister Oskar Potiorek, im zweiten Wagen. Da es das Wetter zuließ, wurde sogar mit offenem Verdeck gefahren.
Erstes Attentat
Um circa 10 Uhr erreignte sich auf dem Weg zum Rathaus ein erstes Attentat. Einer der entlang der Route stehenden Attentäter, der 19-jährige Nedeljko Cabrinovic, warf eine Handgranate gegen das Fahrzeug des Thronfolgers. Der Fahrer bemerkte das herbeifliegende dunkle Objekt und gab Gas. Die Granate fiel auf das zurückgelegte Verdeck des Wagens und von dort auf den Boden, wo sie kurz vor dem dritten Auto in der Kolonne explodierte. Dabei wurden dieses Fahrzeug beschädigt, sowie mehrere Personen, Insassen des Fahrzeuge und umstehende Passanten, verletzt.
Trotz dieses Anschlages wurde die Fahrt zum Rathaus fortgesetzt. Der dortige Besuch wurde allerdings abgekürzt und ein Besuch der Verletzten im Krankenhaus festgelegt.
Tödliche Schüsse
Bei der Fahrt ins Krankenhaus kam es zu einem verhängnisvollen Missverständnis: Um ca. 11 Uhr bog auf der Höhe der Lateinerbrücke das erste Fahrzeug des Konvois in die Franz-Josef-Straße ein, anstatt dem Appelquai geradeaus zum Krankenhaus zu folgen. Auch der nachkommende Wagen, der Wagen des Thronfolgers, bog nach rechts ab, bevor die Kolonne zum Anhalten gebracht werden konnte, um die vorgesehene Route wiederaufzunehmen.
Diesen Moment des Stillstandes der Fahrzeuge nutzte ein weiterer Attentäter, Gavrilo Princip, der zu diesem Zeitpunkt genau an jener Straßenecke stand und mit seiner Pistole die tödlichen Schüsse auf das Thronfolgerpaar abgeben sollte.
Der erste Schuss des Attentäters galt eigentlich dem Landeschef von Bosnien und Herzegowina, Feldzeugmeister Oskar Potiorek, den er jedoch verfehlte. Die Kugel durchschlug hingegen die Seitenwand des Wagens und traf die Herzogin Sophie in den Unterleib, wo die Bauchschlagader getroffen wurde. Ein zweiter Schuss traf den Thronfolger am Hals, der die Halsvene verletzte.
Rasch wurde das verletzte Thronfolgerpaar mit dem Auto in den Konak, die Residenz des Landeschefs von Bosnien und Herzegowina gebracht, wo jedoch nur noch der Tod der beiden festgestellt werden konnte.
Der letzte Weg
Die Leichen von Erzherzog Franz Ferdinand und Herzogin Sophie wurden obduziert und konserviert und am Abend des 29. Juni mit militärischen Ehren zum Bahnhof Sarajevo-Bistrik geleitet, von wo sie ein Sonderzug zum Hafen Metković brachte. Von dort aus wurden sie am Morgen des 30. Juni an Bord der SMS Dalmat zu dem an der Neretvamündung wartenden Schlachtschiff SMS Viribus Unitis überführt, welches die beiden Särge nach Triest brachte.
Am Abend des 2. Juli trafen die Särge am Wiener Südbahnhof ein. Sie wurden mit militärischen Ehren in die Hofburgkapelle gebracht, wo am Nachmittag des 3. Juli in Anwesenheit Kaiser Franz Josephs das Requiem zelebriert wurde.
Am Abend des 3. Juli schließlich wurden die beiden Särge mit militärischen Ehren zum Westbahnhof geleitet, nach Pöchlarn überführt und von dort zum Schloss Artstetten gebracht.
Die Beisetzungsfeier für Erzherzog Franz Ferdinand und Herzogin Sophie fand am 4. Juli statt. Die letzte Ruhestätte fanden die beiden in der Familiengruft im Schloss.
Die Attentäter
Die beiden Attentäter wurden sofort festgenommen. Sie gehörten der nationalistischen Vereinigung "Mlada Bosna" (Junges Bosnien) an. Ziel dieser Organisation war die Loslösung Bosnien und der Herzegowinas von Österreich-Ungarn und die Bildung eines gemeinsamen Staates mit Serbien und Montenegro. Unterstützt wurde "Mlada Bosna" durch die serbische Geheimorganisation "Crna ruka" (Schwarze Hand). Mit ihrer Tat hofften die Attentäter ein Signal für den Beginn eines Befreiungskampfes der Südslawen von Österreich-Ungarn zu setzen.
Princip und vierundzwanzig Mitverschwörer mussten sich ab Oktober 1914 vor einem österreichisch-ungarischen Gericht verantworten. Es verurteilte ihn wegen Hochverrats und Mordes ob seiner Minderjährigkeit nicht zum Tode, sondern zu zwanzig Jahren Kerker, welcher er in der Festung Theresienstadt abzusitzen hatte. In Folge der schlechten Haftbedingungen verstarb Princip im April 1918.
Das Ultimatum
Für Österreich-Ungarn trug an der Ermordung des Thronfolgers allein Serbien die politische Schuld.
„Es erhellt aus den Aussagen und Geständnissen der verbrecherischen Urheber des Attentates vom 28. Juni, dass der Mord von Sarajevo in Belgrad ausgeheckt wurde, dass die Mörder die Waffen und Bomben, mit denen sie ausgestattet waren, von serbischen Offizieren und Beamten erhielten, die der Narodna Odbrana angehörten, und dass schließlich die Beförderung der Verbrecher und deren Waffen nach Bosnien von leitenden serbischen Grenzorganen veranstaltet und durchgeführt wurde.“ (Aus einem Schreiben des Außenministers Leopold Graf Berchtold an den in Belgrad akkreditierten Gesandten Österreich-Ungarns Wladimir Giesl Freiherr von Gieslingen.)
Der serbischen Regierung war bewusst, dass die Gefahr bestand, dass die Regierung Österreich-Ungarns mit einer Militäraktion auf das Attentat reagieren würde. Sie bedauerte deshalb offiziell die Ermordung des Thronfolgers, bestritt aber jegliche Verwicklung und wies darauf hin, dass alle Täter aus dem von Österreich-Ungarn annektierten Bosnien stammten und damit k. u. k. Untertanen seien.
In Österreich-Ungarn drängten hochrangige Militärs und Politiker wie der Chef des Generalstabs, Franz Conrad von Hötzendorf, der österreichische Ministerpräsident Karl Stürgkh und Kriegsminister Alexander von Krobatin bereits seit Jahren auf ein militärisches Vorgehen gegen Serbien. Sie glaubten, nur so der großserbischen Bewegung beikommen zu können, die auf einen Anschluss aller südslawischen Gebiete des Habsburgerreichs an Serbien abzielte. Außenminister Leopold Berchtold und Kaiser Franz Joseph I. hatten sich diesen Plänen jedoch bislang widersetzt.
Nach dem Attentat sah man nun den entscheidende Rechtfertigungsgrund für ein militärischer Vorgehen gegen Serbien gegeben - eine "Strafexpedition" wie das Vorgehen genannt wurde. Am 14. Juli konnten sich deshalb die k. u. k. Minister darauf verständigen, Serbien ein auf 48 Stunden befristetes Ultimatum zu stellen, dessen Forderungen so scharf sein sollten, „dass mit der Wahrscheinlichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung gerechnet werden muss.“
Das Ultimatum wurde am 23. Juli um 18 Uhr abends der serbischen Regierung überreicht. Es enthielt insgesamt zehn Forderungen, wie die Narodna Odbrana und ähnliche Vereine aufzulösen, alle anti-österreichischen Publikationen zu verhindern und alle der anti-österreichischen Propaganda schuldigen Lehrer, Offiziere und Beamte zu entlassen. Am brisantesten waren die Punkte 5 und 6. Sie forderten:
„5. einzuwilligen, dass in Serbien Organe der k. u. k. Regierung bei der Unterdrückung der gegen die territoriale Integrität der Monarchie gerichteten subversiven Bewegung mitwirken;
6. eine gerichtliche Untersuchung gegen jene Teilnehmer des Komplottes vom 28. Juni einzuleiten, die sich auf serbischem Territorium befinden; von der k. u. k. Regierung hierzu delegierte Organe werden an den diesbezüglichen Erhebungen teilnehmen;“
Kriegserklärung
Am Abend des 25. Juli um 17.55 Uhr überreichte Serbien die Antwort auf das österreichisch-ungarische Ultimatum. Darin versprach es, die meisten Punkte zu erfüllen, wies jedoch die Teilnahme von k. u. k. Beamten bei Untersuchungen in Serbien zurück. Die Antwort wurde von Österreich-Ungarn als „ungenügend“ und „vom Geist der Unaufrichtigkeit erfüllt“ zurückgewiesen. Am 28. Juli erfolgten deshalb die Kriegserklärung an das Königreich Serbien sowie die Teilmobilmachung für den Kriegsfall Balkan.
Die eigentlichen Kriegshandlungen begannen mit einer Beschießung Belgrads am 29. Juli wenige Minuten vor ein Uhr morgens durch die k. u. k. Donaumonitore S.M.S. Bodrog, S.M.S. Temes und S.M.S. Szamos. Auch das k.u.k. Feldkanonenregiment 38, das in Semlin seinen Feuerstellungraum hatte, gab in dieser Nacht erste Schüsse auf Belgrad ab.
Die Sprengung der von Semlin nach Belgrad führenden Eisenbahbrücke über die Save durch die Serben konnte dadurch jedoch nicht verhindern werden.
Vom lokalen Konflikt zum Weltkrieg
Die Interessenlagen der Großmächte und die gegenseitigen Bündnisverpflichtungen ließen den Lokalkrieg am Balkan innerhalb weniger Tage zum Kontinentalkrieg eskalieren:
30. Juli: | Russische Generalmobilmachung |
31. Juli: | Generalmobilmachung in Österreich-Ungarn Deutsche Ultimaten an Russland, seine Mobilmachung einzustellen und an Frankreich, sich neutral zu erklären |
1. August: | Generalmobilmachung in Frankreich und Deutschland Kriegserklärung Deutschlands an Russland |
3. August: | Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich Mobilmachung der britischen Armee |
4. August: | Kriegserklärung Großbritanniens an Deutschland |
5. August: | Kriegserklärung Montenegros an Österreich-Ungarn |
6. August: | Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Russland Kriegserklärung Serbiens an das Deutsche Reich |
11. August: | Kriegserklärung Montenegros an das Deutsche Reich Kriegserklärung Frankreichs an Österreich-Ungarn |
12. August: | Kriegserklärung Großbritanniens an Österreich-Ungarn |
Verfasser
Oberst Thomas Lampersberger
Quellen
- Wladimir Aichelburg: Sarajevo – das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich; Wien 1999
- Hans Fronius: Das Attentat von Sarajevo; Graz 1988.
- Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie; Wien 2013
- Alma Hannig: Das Attentat, die Julikrise und der Krieg; in Truppendienst Spezial Nr. 22; Wien 2014
- Martin Prieschl: Mörder und Nationalheld - Gavrilo Prinvip (1894 - 1918); in Truppendienst Spezial Nr. 22; Wien 2014
- https://www.bmi.gv.at/magazinfiles/2014/05_06/files/024_027_sarajevo_050614.pdf
- https://www.hgm.at/ausstellungen/dauerausstellungen/das-attentat-von-sarajevo-28-juni-1914
- https://de.wikipedia.org/wiki/Attentat_von_Sarajevo