Galizien und die Bukowina
Zwischen Österreich und der Ukraine gab es seit der Zeit der Habsburger-Monarchie enge Beziehungen – die Bukowina und Galizien waren Reichsgebiete der Monarchie. Reichhaltige architektonische Spuren finden sich noch in vielen Städten im Westen der Ukraine. Lemberg und Czernowitz strahlen noch heute, oder heute mehr als in den letzten 100 Jahren wieder als architektonische Juwele, die nicht nur an einen unverwechselbaren gemeinsamen Baustil sondern auch an das reichhaltige Kultur- und Geistesleben in der Monarchie erinnern. Viele positive Impulse, nicht nur für das Habsburger-Reich sondern für ganz Europa, kamen gerade aus diesem Teil der Monarchie, der heute zur Ukraine gehört!
Galizien und die Bukowina sind Territorien, die man heute vergeblich auf der Landkarte sucht. Aus dem zeitgenössischen Blickwinkel der Habsburgermonarchie betrachtet, galten diese Länder als obskure Randgebiete: Als „Halbasien“ oder „Wilder Osten“ wurden sie als das „Armenhaus“ der Monarchie gesehen. In geopolitischer Hinsicht war diese Gebiet für die Habsburgermonarchie strategisch wichtig für den Konkurrenzkampf mit Russland.
Königreich Galizien und Lodomerien
Unter anderem das Gebiet der heutigen Oblaste L´viv, Ternopil und Ivano-Frankivs´k umfassend, existierte bis 1918 das Kronland Galizien.
Im Jahre 1772 fielen bei der ersten Teilung Polens Galizien bzw. die Woiwodschaft Ruthenien sowie der südliche Teil Kleinpolens an die Habsburgermonarchie. Diese Gebiete wurden mit den zuvor besetzten Nowy Targ, Czorsztyn und Nowy Sącz zum Kronland „Königreich Galizien und Lodomerien“ zusammengefasst. Im Jahre 1795 kamen nach der Dritten Teilung Polens weite Gebiete des verbliebenen polnischen Staates mit Krakau und Lublin zum habsburgischen Reich. Sie wurden als Westgalizien dem Kronland Galizien eingegliedert. Das Gebiet um Lublin wurde 1809 durch polnische Truppen besetzt und fiel durch den Frieden von Schönbrunn 1815 an Kongresspolen. Krakau wurde als "Freie Stadt Krakau" unabhängig. Von 1836 bis 1841 war Krakau durch österreichische, russische und preußische Truppen besetzt und die Stadtverwaltung den Weisungen der drei Mächte unterworfen. Nach einem erfolglosen Aufstand dagegen wurde Krakau am 16. November 1846 durch Österreich besetzt, als Großherzogtum Krakau in das österreichische Kronland Galizien eingegliedert und verblieb bei diesem bis 1918.
Die Infrastruktur, welche die österreichische Besatzungsmacht vorfand, kann durchaus als dringend sanierungsbedürftig beschrieben werden. Große Teile der zentralen städtischen Gebäude waren entweder zerstört oder in einem desolaten Zustand. Unter der neuen Habsburger Administration fanden schnell Veränderungen statt. Die elementare Infrastruktur wurde erneuert und es fand eine schrittweise Anpassung an das restliche Habsburgerreich statt.
Die Lage des Handwerks und der Landwirtschaft war zur Zeit der Konstituierung des Kronlandes Galizien im Vergleich zu den westeuropäischen Ländern äußerst rückständig. Joseph II. beschloss daher in seinem Ansiedlungspatent vom 17. September 1781, Gewerbetreibende, Handwerker und Bauern für das neue Kronland anzuwerben. Keineswegs war hier an eine Germanisierung des Landes gedacht, vielmehr versprach man sich von den Neusiedlern eine lehrreiche Vorbildfunktion. Infrage kamen insbesondere die Pfälzer vom Rhein, denn durch die unglückliche Realerbteilung waren dort die Landwirtschaften so klein geworden, dass einerseits eine intensive Felderwirtschaft entwickelt werden musste, andererseits für die Bauern handwerkliche Fähigkeiten zum nötigen Nebenerwerb erforderlich waren.
Der Anreiz zur Abwanderung nach Galizien war groß, denn die Behörden stellten den neuen Kolonisten Land, Wohnhaus, Stall, Vieh und Ackergeräte kostenlos zur Verfügung. Die Kolonisten waren für zehn Jahre von allen Abgaben befreit, die Hofbesitzer und ihre ältesten Söhne vom Militärdienst freigestellt. Vom Juni 1782 bis zum Januar 1786 kamen 14.735 Kolonisten ins Land. Sie wurden entweder in neu gegründeten Dörfern oder in Erweiterungen bereits bestehender Dörfer angesiedelt.
Galizien zählte 1910 acht Millionen Einwohner, die sich auf viele unterschiedliche ethnische Gruppen verteilten: Polen, Ruthenen (Ukrainer), Russinen, Deutsche, Armenier, Juden, Moldauer (Rumänen), Ungarn, Roma, Lipowaner und andere. Die Polen, Ruthenen und Juden machten den größten Anteil aus, wobei erstere weitgehend den westlichen Landesteil, die Ruthenen dagegen im überwiegenden Maße den östlichen Landesteil (Ruthenien) bewohnten.
Die Hauptstadt Galiziens war Lemberg (poln. Lwów bzw. ukrain. Lviv). Die alte polnische Königsstadt Krakau stellte ein weiteres kulturelles Zentrum dar. Das Stadtbürgertum war größtenteils polnisch, daneben war auch ein deutscher und, vor allem in den östlichen Regionen, ein armenischer Einfluss spürbar. Eine besondere Rolle spielten in den galizischen Städten die zahlenmäßig sehr starken Judengemeinden. Zum mosaischen Glauben bekannten sich in Galizien ca. 11 % der Bevölkerung.
Großen Veränderungen war auch das Verkehrswesen unterworfen. Auf Veranlassung Maria Theresias und ihres Nachfolgers Joseph II. wurde dort sogleich mit dem Bau von Chausseen begonnen. Damit knüpften sie an eine Verkehrs- und Straßenpolitik an, die bereits seit der Regentschaft Karls VI. (1711–1740) mit wechseln-den Schwerpunktsetzungen betrieben worden war. Maria Theresia und Joseph II. setzten insbesondere auf die integrative Wirkung, die der Chausseebau und die Herstellung von Verbindungen in die Nachbarprovinzen zur Folge haben sollten. Wiederum war die verbindende Kraft eines der Hauptargumente, als ab den 1830er Jahren für den Bau von Eisenbahnstrecken geworben wurde. Ein ganzes Netz von Eisenbahnlinien – es ist bis heute kaum verändert – wurde errichtet und durchzog das Land.
Bukowina
Der heutige Oblast Cernivci bildete bis 1918 einen Teil des Kronlandes Bukowina.
Im Jahr 1774 erwarb Österreich die Bukowina vom Osmanischen Reich. Es wurde damit eine bessere Verbindung von Siebenbürgen zum gerade erworbenen Galizien geschaffen.
Nach zehnjähriger Militärverwaltung wurde die Bukowina ab 1786 als Kreis Czernowitz (später Kreis Bukowina) des Königreichs Galizien und Lodomerien verwaltet. 1849 wurde sie zum Kronland (Herzogtum Bukowina) erhoben und erhielt 1850 eine eigene k.k. Statthalterei in Czernowitz.
In diesem extrem rückständigen und strukturschwachen Land führte die österreichische Administration das Experiment einer quasikolonialen Erschließung mittels einer zentralistischen Verwaltung mit Deutsch als Verwaltungs- und Unterrichtssprache durch. Ab 1786 wanderten tausende vor allem aus der Pfalz stammende Familien nach Galizien ein und siedelten sich dort meist in neu gegründeten Ortschaften als deutsche Gemeinschaften an.
Die Bevölkerung umfasste im Jahr 1910 rund 800.000 Menschen und setzte sich aus Rumänen, Ukrainern, Deutschen und Polen sowie Armeniern zusammen, wobei keine Ethnie eine dominante Mehrheit ausbilden konnte. Der Anteil der jüdischen Bevölkerung war mit ca. 13 % von allen Kronländern der Habsburgermonarchie der höchste.
Die Hauptstadt Czernowitz war ein Spiegelbild der bunten ethnischen Zusammensetzung des Landes. 1910 zählte die Stadt knapp 90.000 Einwohner, von denen 48,4 % Deutsch, 17,9 % Ruthenisch und 15,7 % Rumänisch als Umgangssprache angaben. In konfessioneller Hinsicht war der hohe Anteil der Juden (32,8 %) bemerkenswert. Ihnen war auch der erstaunlich hohe Prozentsatz der Deutschsprachigen zu verdanken, die das „Jerusalem am Pruth“ zu einem bedeutenden deutschen Kulturzentrum im Osten machten, das seit 1875 auch über eine deutschsprachige Universität verfügte. Das assimilierte jüdische Bürgertum orientierte sich kulturell nach Wien, was Czernowitz auch die Bezeichnung „Klein Wien“ eintrug.
Transkarpatien
Ein weiterer Teil der heutigen Ukraine war bis 1918 Teil des Habsburgerreiches - die heutige Verwaltungseinheit Oblast Transkarpatien. Nach der Landnahme der Magyaren im 10. Jahrhundert wurde das Gebiet nach und nach an Ungarn angeschlossen. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert waren die östlichen zwei Drittel des Gebiets, zeitweise auch das ganze Gebiet Bestandteil des Fürstentums Siebenbürgen, das ein selbständiger osmanischer Vasallenstaat war. Seit 1687 war die Karpatenukraine nach der Vertreibung der Osmanen wieder Teil des Königreichs Ungarn unter habsburgischer Herrschaft.
Um 1700 bildete die westliche Karpatenukraine die Ausgangsbasis für die antihabsburgischen Aufstände von Emmerich Thököly und vor allem von Franz II. Rákóczi. Letzterer wurde 1701 wegen Hochverrates in der Wiener Neustädter Burg inhaftiert, aus der ihm jedoch die Flucht gelang. Rákóczi war durch die Inhaftierung keineswegs eingeschüchtert worden, sondern übernahm bald die Führung der größten Erhebung des ungarischen Adels gegen die Habsburger-Herrschaft, des berühmten Kuruzzen-Aufstandes (1703-1711). Der Nordwest-Turm der Burg in Wiener Neustadt ist noch heute nach dem berühmten Häftling benannt.
Militärische Bedeutung
Die Beziehungen zwischen der Habsburgermonarchie und dem russischen Zarenreich waren schon seit den 1830er Jahren immer wieder angespannt. Das Balkanabkommen von 1897 sorgte schließlich für 10 Jahre Entspannung. Das Verhältnis verschlechterte sich in den folgenden Jahren jedoch wieder. Die galizischen Verhältnisse beschleunigten die Zuspitzung der Gegensätze erheblich.
Insbesondere nach der Bosnischen Krise 1908, die Österreich-Ungarn und Russland an den Rande eines bewaffneten Konflikts führte, schenkten beide Länder verstärkt Galizien Aufmerksamkeit. Die Region hatte einen hohen außen- und innenpolitischen Stellenwert. Aus außenpolitischer Perspektive verdiente Galizien schon allein wegen seiner Grenzlage die besondere Aufmerksamkeit der beiden Reiche. Denn aufgrund seiner Lage hatte Galizien, das im Norden und Osten an Russland grenzte, eine wichtige militärstrategische Bedeutung. Neben dem Grenzcharakter der Region, machten u.a. die historische Verbindung zur Rus’ und die Tatsache, dass auf beiden Seiten der Grenze die gleichen Nationalitäten wohnten, Galizien zu einem Objekt besonderer Aufmerksamkeit der österreichisch-ungarischen und der russischen Regierung. Die galizische Frage war somit auch eine Frage der Ideologie. Polen und Ukrainer waren immer ein Objekt russischer Aufmerksamkeit. Der Osten Galiziens wurde von russischnationaler Seite als „urrussisches Land“ betrachtet, das eines Tages zu Russland zurückkehren müsse.
Der russischen Bedrohung gerecht werdend, waren in Galizien und in der Bukowina eine große Anzahl an k.u.k. Truppen stationiert. In Lemberg befand sich das XI. Armeekorps, verantwortlich für Ostgalizien und die Bukowina, in Przemysl das X. Armeekorps mit der Verantwortung für Mittelgalizien und in Krakau das I. Armeekorps für Westgalizien. Wegen der verkehrswichtigen Lage von Przemyśl wurde um die Stadt ab Mitte des 19. Jahrhunderts einer der größten vor dem Ersten Weltkrieg bestehenden Festungskomplexe gebaut. Insgesamt befanden sich 1910 in Galizien rund 63.000 k.u.k. Soldaten, in der Bukowina 4.000.
Dementsprechend häufig, wenn auch nicht sehr beliebt, waren Ausmusterungen von Offizieren in die galizischen Garnisonen Brody, Bereschany, Grodek, Kolomea, Lemberg, Stanislau, Tarnopol,…. Selbst der Leutnant Carl Joseph Trotta, der tragische Held in Josph Roth´s Roman „Radetzkymarsch“, versah Dienst in Galizien.
Erster Weltkrieg
Während des Ersten Weltkrieges waren Galizien und die Bukowina Schauplatz schwere Kämpfe zwischen der k.u.k. Armee und dem russischen Heer.
Am 23. August überschritt die k.u.k. 1. Armee, gefolgt von der k.u.k. 4. Armee die Waldzone nördlich des San und begann einen Vorstoß nach Russisch-Polen. Während dieser erfolgreich verlief, wurde die Situation in Ostgalizien für die k. u. k. 3. Armee immer kritischer und diese musste sich schließlich nach Westen zurückziehen. Am 2. September musste Lemberg aufgeben werden, am 11. September 1914 ganz Ost- und Mittelgalizien. Die Front verlief nun in den Karpaten, wo die Kämpfe zu enormen Verlusten der österreichisch-ungarischen Armee führten.
Am 2. Mai 1915 leiteten die Mittelmächte eine gemeinsame Offensive in Galizien mit dem relativ bescheidenen Ziel der Rückeroberung der Gebiete bis zum San ein, die schon bald Erfolg zeigte. Bei der entscheidenden Schlacht von Gorlice-Tarnów gelang ein Durchbruch, der sich immer stärker ausweitete und einen Umschwung in die Kriegslage brachte. Während in der Bukowina die hier überlegenen russischen Truppen gegen die österreichisch-ungarischen einen Erfolg erzielen konnten, rückten in Galizien die Mittelmächte weiter vor, wobei deutsche Truppen eine wichtige Rolle spielten. Am 3. Juni nahmen die Mittelmächte Przemyśl, und am 22. Juni Lemberg ein, Ternopil folgte, somit konnte Galizien bis auf den östlichsten Teil in Besitz genommen werden.
Diesen Ereignissen folgte eine längere Pause an der Ostfront mit nur kurzen und erfolglosen russischen Vorstößen. Bewegung kam in die Front wieder im Juni 1916, als es der russischen Armee im Zuge der sogenannten Brusilov-Offensive gelang die Frontlinie etwas nach Westen vorzutreiben und größere territoriale Gewinne an der Südwestfront, wie große Teile Wolhyniens, der Bukowina und Galiziens zu erzielen.
Mit einer im Juli 1917 vorgetragenen Offensive der Mittelmächte wurde die russische Armee endgültig aus Galizien verdrängt. Nach dem Umsturz durch die Bolschewiki am 7. November kam es schließlich ab dem 15. Dezember 1917 zu einem Waffenstillstand.
Nach 1918
Zum Ende des Ersten Weltkriegs löste sich Österreich-Ungarn auf. Seine Teile machten sich entweder selbstständig oder traten Nachbarstaaten bei.
Galizien schied per 30. Oktober 1918 aus der Monarchie aus. Die dominanten polnischen Politiker erklärten das ganze ehemalige Kronland zum Teil des neuen polnischen Staates. Demgegenüber beanspruchten die Ukrainer den östlichen Teil Galiziens. So wurde Ende 1918 in Lemberg, das selbst eine polnische Bevölkerungsmehrheit hatte, aber im ukrainisch besiedeltem Gebiet lag, die Westukrainische Volksrepublik ausgerufen. Diese konnte sich aber gegen die einmarschierende polnische Armee im Polnisch-Ukrainischen Krieg nicht halten, so dass auch Ostgalizien im Mai 1919 polnisch wurde.
In Czernowitz wurde im November 1918 die Verwaltung an Vertreter der rumänischen und der ukrainischen Nation übergeben. Diese versprachen, bis zur Friedenskonferenz gemeinsam vorzugehen, konnten sich allerdings über die Aufteilung der Bukowina nicht einigen. In der Folge besetzte die rumänische Armee nach und nach das Land, das am 28. November 1918 von Rumänien annektiert wurde. Die Bukowina wurde in Folge ohne Autonomierechte oder dergleichen in das Königreich Rumänien eingegliedert. Die von den Ukrainern angestrebte Teilung wurde erst 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommen.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges kam das Gebiet von Transkarpatien durch den Vertrag von Trianon zur Tschechoslowakei. Im November 1938 erhielt der Landesteil eine Autonomie innerhalb der föderalisierten Tschechoslowakei, nachdem ein Teil mit dem Ersten Wiener Schiedsspruch zurück an Ungarn kam. Im März 1939 wurde das Gebiet von Ungarn vollständig besetzt und war bis 1944 Teil Ungarns. 1944–46 wieder formal Teil der Tschechoslowakei wurde 1946 die Karpatenukraine vollständig an die Sowjetunion abgetreten und Teil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik.
Quellen:
- https://ww1.habsburger.net/de/kapitel/am-rande-des-reiches-galizien-und-bukowina
- https://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Vertretungen/Kiew/Dokumente/25_Jahre_Diplomatie_Ukr-OE_dt_kurz.pdf
- https://www.wikipedia.org
- https://www.uni-augsburg.de/de/fakultaet/philhist/professuren/kunst-und-kulturgeschichte/europaische-ethnologie-volkskunde/exkursionen/ukraine-lemberg-czernowitz/osterreichisches-lemberg-hauptstadt-des-kronlandes-galizien/
- https://core.ac.uk/download/pdf/11587816.pdf
- https://www.researchgate.net/publication/326943693_Staat_Raum_und_Infrastruktur_Wie_die_Eisenbahn_nach_Galizien_kam