Zum 175. Geburtstag
Carl Baron Torresani ist heute nur mehr wenigen Historikern und Liebhabern der Wiener Kaffeehausliteratur ein Begriff. Dabei galt er einst als einer der beliebtesten österreichischen Romanautoren und ist wohl der bedeutendste Militärschriftsteller der k. u. k. Armee. Das österreichische Offizierskorps betrachtete ihn weit über seinen Tod hinaus als ein Vorbild, als eine Ikone der k. u. k. Armee. Nicht nur Kulturhistoriker beurteilen sein Werk als bedeutend. Torresani gehört „zu den besten österreichischen Erscheinungen“ und „aufschlussreichsten Repräsentanten seines Vaterlandes“, meinte schon Felix Salten.[1]
Militärakademiker und Reiteroffizier
Carl Baron Torresani wurde am 19. April 1846 in Mailand geboren. Er entstammte einer Südtiroler Adelsfamilie und hieß mit vollem Namen Carl Freiherr Torresani von Lanzenfeld di Camponero. Sein Vater Piero von Torresani verunglückte kaum ein Jahr nach seiner Geburt tödlich und so wurde der spätere Feldzeugmeister Anton von Mollinary sein Stiefvater. Der Offiziersberuf seines Stiefvaters prägte ihn von klein auf. Torresani war ein echtes „Tornisterkind“. Nach seiner gymnasialen Ausbildung am Jesuiteninternat Stella Matutina in Feldkirch am Bodensee wechselte er deshalb auf eigenen Wunsch an die Militärakademie Wiener Neustadt.
Im Herbst 1861 betrat Torresani an der Seite seines Stiefvaters die ehrwürdige Anstalt. Die Aufnahmeprüfung war für den Generalssohn reine Formsache. Der Unterricht stellte jedoch hohe Anforderungen an den jungen Zögling, körperlich wie geistig. Das Leben an der Militärakademie muss damals geradezu spartanisch gewesen sein. Torresani schrieb hierüber in seiner späteren Jugendautobiographie: „So etwas wie Waschgeschirre und Zahnputzgläser gab es nicht. Die Morgentoilette der Zöglinge fand auf dem im Winter eisigen Gang, an Marmortrögen statt.“ Die Verpflegung war ebenso karg. Zum Frühstück gab es nur ein Stück altbackenes Brot und damit mussten die Zöglinge von fünf Uhr früh bis halb eins auskommen. Aber sie ertrugen diese Entbehrungen mit ostentativem Heroismus – alles andere wäre „zivilistisch“ gewesen. Torresani erlebte seine Alma Mater im ersten Zöglingsjahr als eine „raue ‚ärarische‘ Hausfrau, die ihre unbarmherzige Rute über einer Rotte wilder Buben schwang.“ Die fachliche Ausbildung stand dabei auf höchstem Niveau. Unter den Professoren gab es Männer von wissenschaftlichem Rang, wie den Mathematiker Georg Ghilain von Hembyze oder den Geographen Carl Sonnklar von Innstädten. Torresani hatte aber noch genügend Zeit für seine „Allotria“, er las in jeder freien Minute Indianergeschichten.
Im Herbst 1865 wurde Torresani als Leutnant der Ulanen ausgemustert. Er kam zu den berühmten Trani-Ulanen (Nr. 13). Das Regiment galt als eine Eliteeinheit der österreichischen Kavallerie. Die „Trani-Schneid“ galt als sprichwörtlich. In der Schlacht bei Custozza 1866 sollte sich das Regiment mit einer entscheidenden Attacke in die österreichische Militärgeschichte einschreiben. Torresani war zu dieser Zeit nach Südtirol beordert. Doch auch er hatte Gelegenheit sich einen Namen zu machen. Während des Gefechts um Condino (nordwestlich des Gardasees) am 21. Juli 1866 erhielt er einen Aufklärungsauftrag, bei dem er mit nur acht Reitern ein ganzes Bataillon Garibaldiner überraschte und zersprengte. In seinen Memoiren hat er das Erlebnis festgehalten:
„Um die Wendung biegend, sehe ich plötzlich die feindliche Kolonne, etwa ein Bataillon stark, vor mir. In Doppelreihen formiert, mit zwei Berittenen an der Tête, statt einer Avantgarde eine Art Tirailleurkette vorgeschoben, avanciert sie langsam, rechts und links nach den Hängen feuernd. Kein Mensch scheint uns zu bemerken.
‚Marsch, Marsch!‘ kommandiere ich. – Im nächsten Augenblick sind wir auch schon drin und räumen auf … Die Überraschung muss eine vollständige gewesen sein. Bis auf eine kleine Minderheit, die geistesgegenwärtig die Seitenmauern erklettert hat und von dort auf uns herabfeuert, denkt niemand an Widerstand. Ein Teil steht unbeweglich, wie erstarrt, mit dem Ausdruck des Entsetzens, unfähig, ein Glied zu rühren. Die große Masse hat sich zur Flucht gewendet und stampft in wilder Unordnung, mit klappernden Patronentaschen, vor uns einher. […]
Hinein stürmen wir, mit Pike und Säbel arbeitend. ‚Hurrah! Hurrah! Hurrah!‘ schreien meine Kosaken. Der Trompeter bläst für zehn. Wir überholen die Fliehenden, alles niedermachend oder über den Haufen werfend, und durchreiten so die Kolonne in ihrer ganzen Längenrichtung, bis der letzte Mann hinter uns ist.
Nur die zwei Berittenen sind noch einzuholen. Sie reiten um ihr Leben, weit voraus, in der Richtung gegen Condino zu. Ich habe mir’s in den Kopf gesetzt, die beiden zu kriegen und verfolge sie, mit dem gesprengten Bataillon im Rücken, noch ein gutes Stück in full pace, bis fast an den Fuß der Batterie, deren Schüsse seit Beginn des Mêlées gänzlich schweigen. Ich kann ihnen aber, bei ihrem großen Vorsprung, nicht nachkommen.
Mittlerweile haben sich hinter uns die Trümmer der überrumpelten Truppe einigermaßen gesammelt und schießen uns in den Rücken. Ich sehe, dass ich so gut wie abgeschnitten bin, denn die von ihrer Panik nunmehr erholte Truppe weiß jetzt, dass sie es bloß mit einer Patrouille zu tun hat.
Ich muss also meinen Major aufgeben und nur zusehen, wieder zu den Unsrigen zu gelangen. Dies geht aber nur durch eine neue Charge. ‚Kehrt Euch!‘ kommandiere ich. Und wieder: ‚Attacke!‘ Diesmal von hinten nach vorn, eine doppelte Tirailleurkette, ein besetztes Defilee entlang. Denn was vom Feind nicht tot oder verwundet ist, sitzt auf den Mauern rechts und links und feuert von dort herunter. Wir sind in einer viel schwierigeren Lage als früher, auch weil das Moment der Überraschung fehlt. Aber es bleibt nichts anderes übrig. Also: ‚Marsch, Marsch!‘ und ‚Hurrah!‘
Jetzt sehen wir erst recht, was wir vorhin angerichtet. Der ganze Weg ist rot übersät. Kreuz und quer liegen sie herum, stellenweise in Häufchen, über die unsere Pferde springen müssen. Die noch kriechen können, haben sich in jene Winkel in Sicherheit gebracht, welchen der Straßengrund mit der Mauer bildet … Auf der Straße selbst gibt es diesmal so gut wie keinen Widerstand. Aber von der Höhe der beiden Mauern herab kracht ein ununterbrochenes Kreuzfeuer auf uns herunter. Den an den Flügeln Reitenden versengen die Schüsse fast die Haare, so nahe werden sie abgefeuert – und doch trifft keiner … Den Leuten muss die Panik noch in den Händen liegen.
In dem Augenblick, wo wir den letzten Schützen hinter uns haben, beginnt uns die Batterie des Monte Brione, die bisher geschwiegen hat, mit Schrapnells nachzufeuern. Aber wir sind wie gefeit. Nicht ein Sprengpartikel trifft uns … Jetzt passieren wir im Galopp die eigene Feuerlinie, die uns mit schallendem Jubelgeschrei empfängt. Wir sprengen über die Brücke, um eine Gehöftecke herum – ‚Haaalt!‘ … Wir sind in Sicherheit.
Ich zähle meine paar Mann. Keiner fehlt, keiner ist auch nur verletzt. Zwei Pferde allein weisen leichte Blessuren auf. Die ganze Affäre hat keine acht Minuten gedauert …“[2]
Torresani wurde mit dem Militärverdienstkreuz ausgezeichnet. Nach dem Krieg diente er zehn Jahre in Galizien, der Krain und Niederösterreich. Mit erfolgreicher Absolvierung der Kriegsschule stand einer glänzenden Karriere im Generalstab nichts im Wege. Doch eine Lebenskrise ließ ihn 1876 den Beruf aufgeben. Man erzählte von einer unglücklichen Liebe und einem Duell. Nach dem Austritt aus der Armee wurde er Beamter bei der Nordbahn, später heiratete er und wurde Landwirt in der Südsteiermark.
Der Schriftsteller
Torresani begann erst mit vierzig Jahren zu schreiben. In seinem ersten Roman Aus der schönen wilden Leutnantszeit (1889) verarbeitete er seine Erlebnisse als junger Offizier in Galizien. Das Buch wurde ein Sensationserfolg und machte Torresani mit einem Schlag zum bekannten Schriftsteller. Kurz darauf veröffentlichte er seinen ersten Novellenband Schwarzgelbe Reitergeschichten (1889). Die darin enthaltene Novelle Kropatsch, der echte Kavallerist gilt als ein Denkmal der k. u. k. Armee. Dabei ist die Erzählung durchaus zeitkritisch. Torresani verurteilt mit ihr den sinnlosen Soldatentod.
In den folgenden fünfzehn Jahren schrieb Torresani weitere sechs Romane und dreizehn Erzählungen. Darunter befinden sich der hochgelobte Gesellschaftsroman Die Juckercomtesse (1890) und der Wiener Künstlerroman Oberlicht (1892), sowie mehrere gefeierte Offiziersnovellen. Fast alle seine Werke fanden großen Beifall und machten den Schriftsteller zu einem der beliebtesten Autoren Österreichs. Um 1900 war Torresani ebenso populär wie die Friedensaktivistin Bertha von Suttner.[3] Sein Name war zu einem Begriff geworden. Man nannte ihn allgemein einfach nur „unsern Torresani“.
Bereits im März 1891 trat Torresani der Café Griensteidl-Gesellschaft bei. Mit Felix Salten und Arthur Schnitzler freundete er sich näher an. Die Schriftsteller inspirierten sich gegenseitig. Torresani schrieb modern und „echt österreichisch“. Er gehörte zu den Wegbereitern der Wiener Moderne. Hermann Bahr nannte ihn deshalb in seinen Studien zur Kritik der Moderne (1894) als ersten Vertreter des Jungen Österreich, vor Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal.[4]
Torresani gehörte allerdings nur etwa zwei Jahre zum engen Kreis der Jung-Wiener. Er reiste in den 1890er Jahren quer durch ganz Europa und hielt sich nur selten in Wien auf. Er lebte mit seiner Frau in den großen Metropolen Rom, Paris und Dresden oder je nach Saison in verschiedenen Kurorten des europäischen Auslandes. Torresani war ein europäischer Weltmann.
Das viele Reisen beeinflusste Torresani auch in seiner literarischen Arbeit. Er übersetzte Werke italienischer Autoren ins Deutsche und eigene Werke ins Französische. Die europäische Dimension seines Schaffens zeigt sich besonders in seinem Novellenband Aus drei Weltstädten (1895). Die Erzählungen spielen in den Städten Rom, Wien und Paris und geben den typischen Nationalcharakter der Städte resp. Nationen wieder. In der Pariser Novelle bemühte sich Torresani sogar, wie ein französischer Schriftsteller zu schreiben. Die Wiener Novelle mit dem Titel Das Letzte ist wiederum eine der besten Wiener Geschichten des Fin-de-Siècle. Sie spielt im Kleinbürgermilieu der Wiener Vorstadt und gilt als Vorwegnahme der Proletarierliteratur des frühen 20. Jahrhunderts. 1901 wurde sie als Theaterstück in Graz und 1902 in Wien uraufgeführt, sowie 1935 als Radiohörspiel vertont.
Mit der Veröffentlichung seiner Jugendautobiographie Von der Wasser- bis zur Feuertaufe. Werde- und Lehrjahre eines österreichischen Offiziers (1899/1900) machte sich Torresani zu einem anerkannten Chronisten der k. u. k. Armee. 1902 wurde er deshalb Berater der Armee-Zeitung (Danzer’s Armee-Zeitung), auf die er in den Folgejahren einen nicht unerheblichen Einfluss ausübte. Er schrieb auch Artikel für die Zeitung. Mit seinem großen Leitartikel Die große Schweigerin (1905) machte er sich zu einem Fürsprecher der Soldaten und verpasste gleichzeitig der k. u. k. Armee ihren bis heute geflügelten Spitznamen „Die große Schweigerin“. Sein großes Ansehen führte Torresani zuletzt noch in den Belvedere-Kreis, den Beraterkreis des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinands, der seinen Rat sehr schätzte.
Obwohl Torresanis Werke zum Großteil keinen militärischen Hintergrund haben, wurde der Schriftsteller durch seine beliebten Offiziersgeschichten zum bedeutendsten Militärschriftsteller seiner Zeit. Man verehrte ihn bald als eine Art Ikone der k. u. k. Armee. Seine Bedeutung für das österreichische Offizierskorps – es gab um 1900 wohl kaum einen Offizier, der seine Werke nicht gelesen hat – illustriert am eindrucksvollsten sein 60. Geburtstag 1906. In seiner Geburtstagsfestschrift gratulierten ihm nicht weniger als 70 Generäle mit persönlichen Beiträgen, darunter Franz Conrad von Hötzendorf, der Chef des Generalstabes, der den militärischen Geist seiner Werke hervorhob. Zudem verlieh ihm Kaiser Franz Joseph den hohen Orden der Eisernen Krone und Erzherzog Eugen, der Befehlshaber der westlichen Streitmacht, veranstaltete einen militärischen Festakt bei den Kaiserjägern in Innsbruck.
Kaum ein Jahr später, am 12. April 1907, verstarb Torresani am Gardasee an einem Herzinfarkt. Er wurde wie ein General mit militärischen Ehren auf dem Bergfriedhof von Torbole begraben, wo man sein Grab noch heute findet.
Nachleben
Torresanis Werke wurden 1909 das letzte Mal aufgelegt. Zuerst geriet sein Dresdner Verlag in die Insolvenz. Dann machte der Erste Weltkrieg den Versuch einer Gesamtausgabe zunichte. Nach dem Krieg hatten seine Anhänger mit politischem Boykott zu kämpfen. Später verhinderten ungeklärte Urheberrechte eine neue Auflage. Seine Werke sind daher nur mehr antiquarisch zu finden.
Torresani war ein Anhänger des Habsburger Vielvölkerstaates und ein erklärter Gegner des Nationalismus. Während der Nazizeit war er deshalb ein Vorbild für österreichische Offiziere im Widerstand. So zum Beispiel für Johann Heinrich Blumenthal, der ein führendes Mitglied der Großösterreichischen Freiheitsbewegung wurde. Blumenthal war nach dem Zweiten Weltkrieg Lehrer an der Militärakademie. Er legte seinen Schülern die Lektüre Torresanis ans Herz und veröffentlichte 1957 Auszüge aus Torresanis Autobiographie sowie zwei gekürzte Novellen. Torresani wurde so in die Traditionspflege des Bundesheeres übernommen. Und als der Verteidigungsminister 1958 die Militärakademie nach dem Wiederaufbau neu einweihte, nannte er den Schriftsteller in seiner Festrede als Vorbild für zukünftige Offiziere. Torresani stand damit an der Wiege der Offiziersausbildung des neuen Bundesheeres.
Torresani steht für Werte, die auch heute noch Gültigkeit haben. Er verkörpert den gebildeten Offizier, der sowohl mit der Waffe als auch mit der Feder umgehen kann. Als österreichsicher Patriot liebte er seine Heimat, stellte aber keine Nation über andere Nationen. Er warb vielmehr für den Frieden unter den Völkern und formulierte – für den Vielvölkerstaat – die Notwendigkeit eines einigenden Gedankens. Man würde ihn heute als einen echten Europäer bezeichnen.
Das Kurzporträt wurde verfasst von Ass. jur. Merlin Ergert-Gillern. Ergert-Gillern ist Jurist und Historiker. Er arbeitet derzeit an einer erstmals umfassenden Biographie des Schriftstellers sowie an der Herausgabe eines neuen Novellenbandes.
[1] Felix Salten, Erinnerung an Torresani, Radio Wien 1937.
[2] Carl Baron Torresani, Von der Wasser- bis zur Feuertaufe, 2. Bd., 4. Aufl., Dresden 1901, S. 298ff.
[3] Frauen-Werke. Österreichische Zeitschrift zur Förderung und Vertretung der Frauenbestrebungen, hrsg. v. Marianne Nigg, VII. Jg., Nr. 12, 1900, S. 1.
[4] Hermann Bahr, Studien zur Kritik der Moderne, 1894, S. 79f.