Zwei Frauen - ein Beruf
Für die gesamte Frühe Neuzeit ist belegt, dass Frauen Teil der Heere Europas waren, etwa als Marketenderinnen, die Versorgungsdienste übernahmen. Erst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgte die Verdrängung von Frauen aus dem militärischen Bereich. Der Mailänderin Francesca Scanagatta gelang es am Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur Teil der Streitkräfte zu werden – sie durchlief als erste Frau eine Ausbildung an der Wiener Neustädter Militärakademie. Sie trat anstelle ihres Bruders die Ausbildung zum Offizier an – war also offiziell ein Mann. Erst seit 2000 können Frauen die Offiziersausbildung absolvieren. Wir fragen bei Fähnrich Francesca Scanagatta und Fähnrich Maria Helienek nach, wie diese beiden Frauen ihre unterschiedlichen militärischen Karrieren und ihren Alltag sehen.
Warum ergreift eine Frau eine militärische Karriere?
Francesca Scanagatta: Meine Familie, die zu den Vornehmen in Mailand gehörte, legte Wert auf meine gute Ausbildung. Ich wurde von einem Schulmeister unterrichtet, lernte nähen, sticken, singen, tanzen und das Spiel auf dem Spinett. Ich sollte eine vorbildliche Ehefrau und Mutter werden. Doch alles, was mein Bruder Francesco tat, begeisterte mich viel mehr: Reiten, Fechten und sein Unterricht in Geschichte. Als wir nach Österreich geschickt wurden, wo mein Bruder die Akademie in Wiener Neustadt besuchen sollte, hatte ich die Chance, mein Leben zu ändern! Ich war 13 Jahre alt, als ich an seiner Stelle die Ausbildung zum Offizier begann. Ich band meine Brust ab und begann mit einer veränderten Stimme zu sprechen. Von nun an war ich Francesco, Zögling der Militärakademie. Der Beruf des Soldaten war meine Bestimmung. Für eine gemeinsame Sache Seite an Seite mit den Kameraden zu kämpfen, dem Kaiser zu dienen. Das war mein Ziel!
Maria Helienek: Bis vor einem Jahr bestimmten Musik und Sprachen meinen Lebensweg. Ich bin mehrsprachig aufgewachsen, spreche tschechisch, slowakisch, französisch, englisch und habe Sinologie, Politikwissenschaften und Operngesang studiert. Meine Gesangskarriere startete als Preisträgerin bei Nachwuchswettbewerben und als Semifinalistin bei einem Gesangswettbewerb am Bolschoi-Theater in Moskau. Doch ich hatte Lust auf etwas Neues. Bei einer Beratung beim Bundesheer wurde mir, gerade bei meiner Vorbildung, die Ausbildung zum Offizier empfohlen. Mein Berufsbild des Offiziers/der Offizierin? Der Gesellschaft geht es gut. Solange es nicht brennt, sieht man uns nicht. Wir sind wie die Feuerwehr des Landes. Das ist ein harter Job, auch die Vorbereitung darauf. Die militärische Disziplin ist ein harter Einschnitt in das persönliche Leben. Da braucht es Menschen, die die Überzeugung und den Idealismus dafür haben. Heute ist das kein gesamtgesellschaftliches Ideal mehr, dementsprechend gibt es nicht mehr so viele Menschen, die so diesen Weg wählen. Doch es ist mein Weg.
Wie hat Ihre Umgebung auf Ihren Berufswunsch reagiert?
Francesca Scanagatta: Meine Familie wusste nichts von meiner Offiziersausbildung. Auch sonst durfte niemand in meiner Umgebung erfahren, dass ich eine Frau war. Ich ritt, focht, sprach und reagierte wie ein Mann. Meine Tarnung war zwar einfacher, weil ich bei Oberarzt Ferdinand Haller und nicht in der Akademie wohnte. Trotzdem musste ich immer ein bisschen mehr geben, als meine männlichen Kameraden, damit ich die körperlichen Strapazen aushielt. 1797 wurde ich ausgemustert und war im Rheinland, in Böhmen und Mähren, im Banat und schließlich in Italien. Als ich in die Garnison nach Livorno verlegt wurde, traf ich meine Familie zum ersten Mal seit Jahren wieder. Mein Vater Giuseppe, der Senator, verlangte, dass der kommandierende General Michael von Melas mein wahres Geschlecht erfuhr. Der General meldete das der Hofkriegsstelle. Kaiser Franz II. übertrug meinem Bruder Guido meine Fähnrichstelle. Mein Leben veränderte sich wieder. Ich wurde wieder Francisca, die wohlerzogene Tochter aus gutem Hause. Aber ich war stolz, dass ich meiner Überzeugung gefolgt bin und gedient habe, ebenso wie meine männlichen Kollegen. Denn mein Wahlspruch ist „Una verace risoluta virtù non trova impresa impossibile a lei.“ (Wahrhaft entschlossener Seelenstärke ist nichts unmöglich).
Maria Helienek: Sehr unterschiedlich. Von „…das passt wie der Deckel auf den Topf!“ bis zu „…da bist du ja nur Dekoration und kein richtiger Soldat.“ Tatsächlich geht man an seine Grenzen, in jeder Beziehung: der umfangreiche Lehrstoff, die körperliche Strapazen. Auch wenn es für sportliche Leistungen unterschiedliche Limits gibt, müssen Frauen und Männer beim „Soldatenparcours“ oder dem Eilmarsch die gleichen Leistungen erbringen. Im Ernstfall muss jeder und jede Kameraden aus Gefahrenzonen bringen oder mit der vollen Ausrüstung laufen können. Der Unterschied zu meinem Leben als Sängerin ist gar nicht so groß: Als Soldatin wie als Sängerin braucht man viel Zeit und Disziplin für die Vorbereitung für etwas, das man punktgenau perfekt abliefern muss. In der Präsentation nach außen braucht es Authentizität, aber auch die Bereitschaft, sich in ein System – ob ins Ensemble auf der Bühne oder ins Heer – einzufügen und persönliche Befindlichkeiten hinter die Sache zu stellen.
Wo sehen Sie sich 10 Jahre nach ihrer Offiziersausbildung?
Francesca Scanagatta: Ein Jahr nach meinem Abschied von der Armee bekam ich eine jährliche Leutnantspension von 200 Gulden. Diese bezog ich auch noch nach meiner Heirat mit Leutnant Coelestin Spini 1804. Er diente zunächst unter Napoleon, dem Kaiser der Franzosen, und trat 1815 in den Dienst der k.k. Armee. Warum er wohl mich, „einen Leutnant“, geheiratet hat? Die Mailänder zerrissen sich das Maul darüber, wie man eine Frau mit einer solchen Vergangenheit heiraten konnte. Sie tratschten und vermuteten, meine Mitgift müsse wohl hoch gewesen sein, dass er eine Frau mit einem solchen Ruf heiratete. Aber unsere Familie strafte die Lästermäuler Lügen. Unsere vier Kinder wuchsen heran und mein Enkel Vinzenz Spini schlug den gleichen Weg ein wie ich. Er absolvierte 1864 die Militärakademie in Wiener Neustadt. Nach dem Tod meines Mannes gewährte man mir eine Witwenpension. Meine Akademie hat mich bis heute nicht vergessen. Mich, Franz Scanagatta, Lieutnant, Major Spinis Witwe.
Maria Helienek: Nach der Offiziersausbildung werde ich die Praxis im Dienstbetrieb in der Truppe absolvieren, jeder in seiner Waffengattung. Ich habe mich für das Fernmeldewesen entschieden. Meine Sprachkenntnisse und meine interkulturelle Kompetenz sehe ich in der Vermittlung und im internationalen Austausch am besten angewendet. Die Ausmusterung, der Abschluss meiner Ausbildung, zählt zu den wichtigen Stationen des Akademielebens. Nach einer Zeit, die wenig Spielraum für Privates lässt, körperlich und geistig sehr fordernd ist, wird bei der Ausmusterung ein Ereignis gefeiert, das Familie und Freunde mitgetragen haben. Wir Absolventen haben viel geleistet und uns diszipliniert in ein System eingefügt, zu dem wir mit Freude stehen. Meine Kameradinnen und ich tun das heute selbstbewusst als Frauen und nicht, wie Franscisca Scanagatta, unter Verleugnung ihres Geschlechts. Je mehr Frauen im militärischen Bereich tätig sind und als Kommandantinnen Verantwortung übernehmen, desto mehr werden die Strukturen weibliche Bedürfnisse berücksichtigen.
Dieser Artikel erschien erstmalig in der Ausgabe 02/03-2021 der "Wiener Neustädter Nachrichten". In der Serie mit dem Titel „Zwei Frauen – ein Beruf“ führen Eveline Klein vom Museum St. Peter an der Sperr und Sabine Schmitner vom Stadtarchiv ein Interview mit einer Frau von heute und stellen dieses einem fiktiven Interview mit einer historischen Frau des gleichen Berufs gegenüber. Mit freundlichen Dank an die Stadt Wiener Neustadt für die Genehmigung der Veröffentlichung.