Führen mit Weitblick
Warum Führungskräfte den Blick über den Tellerrand nicht scheuen sollten
Das diesjährige Theresan Military Academic Forum tMAF mit dem Titel „Führen mit Weitblick – Warum Führungskräfte den Blick über den Tellerrand nicht scheuen sollten“ fand von 7. bis 8. November 2018 statt.
Der akkreditierte Fachhochschul-Bachelorstudiengang Militärische Führung (FH-BaStg MilFü) muss eine wissenschaftlich fundierte, praxisbezogene Ausbildung auf Hochschulniveau anbieten. Das wissenschaftlich, berufspraktisch und pädagogisch-didaktisch qualifizierte Lehr- und Forschungspersonal ist daher zur angewandten Forschung und Entwicklung für die unmittelbare Nutzanwendung im Rahmen der Lehre verpflichtet.
Der FH-BaStg MilFü an der Theresianischen Militärakademie führte die Veranstaltung in Kooperation mit dem Katholischen Bildungswerk Wien, dem Bildungszentrum St. Bernhard sowie mit Unterstützung der Absolventenvereinigung „Alt-Neustadt“ und dem Forschungsförderverein „Alma Mater Theresiana“ durch.
Das Ziel dieser wissenschaftlichen Veranstaltung war es, Ergebnisse der angewandten Forschungs- und Entwicklungstätigkeit des Lehr- und Forschungspersonals vor Mitgliedern der Scientific Community, Ressortangehörigen und Studierenden zu präsentieren und anschließend zu diskutieren. Die generierte militärische Expertise wird somit dem Regelkreis von Forschung und Lehre an hochschulischen Bildungseinrichtungen folgend, in den nationalen und internationalen wissenschaftlichen Diskurs eingebracht.
Moral-ethischer Schwerpunkt
Der erste Veranstaltungstag hatte einen Moral-ethischen Schwerpunkt. Dafür unterzog der emeritierte Univ.-Prof. Dr. Günter Virt, die Statuten des Militär-Maria-Theresien-Ritterordens einer moralisch-ethischen Betrachtung. Dieser Orden wurde, „für aus eigener Initiative unternommene, erfolgreiche und einen Feldzug wesentlich beeinflussende Waffentaten, die ein Offizier von Ehre hätte ohne Tadel auch unterlassen können“, an Offiziere verliehen. An mehreren historischen Beispielen, wie das Kriegsverbrechen von Srebrenica während des Bosnienkrieges im Juli 1995, erläuterte Virt die Notwendigkeit der Ethik-Ausbildung militärischer Führungskräfte. Diese Ausbildung soll das teilweise buchstäbliche Befolgen von Befehlen mit fatalen Auswirkungen unterbinden und zeigt damit die Zeitlosigkeit der Statuten des Ordens. Diese Statuten werden mit der Anwendung des „Theresianischen Führungsmodells“, dem zeitgemäß interpretierten Auftrag Maria Theresias von 1751, für die Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie angewendet.
Den möglichen Konflikt zwischen Gewinn und Moral beim Erkennen und Managen von Risiken und dem Treffen von moralisch-ethisch legitimen Entscheidungen bei Finanzdienstleistungen führte Dr. Herbert Ritsch, Privatbank Schellhammer & Schattera, in seinem Referat aus. Er empfahl mit Hilfe seiner „moralischen Leitplanken“, dass „die Motive für das Handeln von Führungskräften auf Werten basieren und Entscheidungen zur gegenseitigen Gewinnmaximierung beitragen sollten“.
Oberstleutnant des Generalstabsdienstes Dr. Markus Reisner, PhD referierte zur Technisierung und Entmenschlichung des Krieges. Die Grundsätze des humanitären Völkerrechts sowie die Menschenrechte stellen die Richtschnur für ein moralisches und gerechtes Handeln von militärischen Führungskräften dar. „Die vernünftige Maschine gibt es nicht“, daher bedarf es Soldaten, welche aus Überzeugung, dem Gewissen folgend, mit Empathie, Vernunft und Intuition handeln. Als mahnendes Beispiel für den ethischen Widerspruch und die möglichen Gefahren beim Einsatz von Robotern in der zukünftigen Einsatzführung bei militärischen Konflikten führte er den Erfinder der Atombombe, Robert Oppenheimer, und dessen Erkenntnisse nach dem Einsatz dieser im Zweiten Weltkrieg an.
In der von Mag. Georg Radlmair, MA und Oberstleutnant Mag. (FH) Josef Greiner, MSc moderierten abschließenden Podiumsdiskussion stellten sich die Referenten den zahlreichen Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmern und erläuterten bzw. ergänzten ihre vorangegangenen Ausführungen.
Buchpräsentation „Robotic Wars“
Zum Abschluss des Moral-ethischen Schwerpunktes präsentierte Oberstleutnant des Generalstabsdienstes Dr. Markus Reisner, PhD, das von ihm verfasste Buch mit dem Titel „Robotic Wars – Legitimatorische Grundlagen und Grenzen des Einsatzes von Military Unmanned Systems in modernen Konfliktszenarien“.
In seinen Ausführungen berichtete er über den Wandel in der Kriegführung, welche eine Sensibilisierung der militärischen Führungskräfte sowie der Öffentlichkeit erfordert. Die anschließende Diskussion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Maria-Theresien-Rittersaal bestätigte einerseits die Notwendigkeit der moralisch-ethischen Bildung militärischer Führungskräfte, weil die Entscheidung über Leben und Tod ausschließlich dem Menschen vorbehalten bleiben sollte. Der Einsatz von unbemannten Aufklärungs- und Waffensystemen droht nämlich die Normen des Völkerrechts aufzuweichen. Ein möglichst breiter internationaler Meinungsbildungsprozess zum Thema sollte eingeleitet werden, um exakte ethische Grenzen für den Einsatz von zukünftig möglichen vollautonomen Waffensystemen festzulegen.
Andererseits wird durch die Diskussion der Erkenntnisse und Erfahrungen mit Absolventinnen und Absolventen aus gegenwärtigen Konflikten und die Integration in die Ausbildung die Studierenden zur Wahrnehmung von Führungsaufgaben in herausfordernden nationalen und internationalen Einsatzszenarien vorbereitet. Teilnehmende Offiziere mit Einsatzerfahrungen berichteten, dass diese Mittel der Lufteinsatzführung in den gegenwärtigen Auslandseinsätzen Standard sind. Daher müssen und werden die erforderlichen Grundlagen zum Einsatz von unbemannten, autonom wirksam werdenden Einsatzmittel bereits in der Offiziersgrundausbildung integriert.
Personalentwicklungs-Schwerpunkt
Der zweite Veranstaltungstag hatte einen Personalentwicklungs-Schwerpunkt und wurde mit dem Vortrag „Warum angehende Führungskräfte vom Himmel fallen?“ eingeleitet. Die Ausführungen waren ein vorläufiges Zwischenresümee der Forschungskooperation des FH-BaStg MilFü mit der Medizinischen Universität - sowie der Karl-Franzens-Universität Graz. Privatdozent DI Dr. Helmut Karl Lackner demonstrierte die psychophysiologischen Einflüsse sowie die Einschränkungen der Funktionstüchtigkeit der exekutiven Funktionen aufgrund verschiedener Stressoren beim durchgeführten und wissenschaftlich begleiteten Bungy-Sprung der Studierenden.
Der Biochemiker Stefan Opresnik, MSc und Univ.-Prof. Dr. Sepp Porta erläuterten gemeinsam die Erkenntnisse der ergänzend durchgeführten Blutuntersuchungen unter Anwendung des Clinical Stress Assessments. Die generierten Erkenntnisse der Stressforschung zur Optimierung der Selbststeuerung und Selbstorganisation sollen ermöglichen, dass die Führungskraft in besonders belastenden Situationen auftretende körperliche Symptome einordnen und reagieren können. Damit soll im erforderlichen Moment die eine moralisch-ethisch hochwertige Entscheidung getroffen werden können. Die unmittelbare Nutzanwendung im Rahmen der Lehre erfolgt im Rahmen des Moduls Leistung und Stress am FH-BaStg MilFü.
Dr. Kurt-Martin Lugger, Leiter des Personalressorts der Karl-Franzens-Universität Graz, erläuterte in seinem Vortrag die zwingend erforderlichen Rahmenbedingungen, wie Motivation und vor allem Vertrauen, die mit der „Königsdisziplin Führung“ die erforderlichen Persönlichkeitsstrukturen der Geführten angesprochen werden können. Die Weiterentwicklung des Führungstalents ist bei gegebenen Rahmenbedingungen, eine gewinnbringende Investition in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Wohle des Unternehmens und kann nur durch intensives und nachhaltiges Training gefestigt werden.
Oberst des Generalstabsdienstes Mag. (FH) Ing. Georg Kunovjanek, MSD referierte über die heuristische Entscheidungsfindung im Lichte von Machiavelli. Heuristik (altgriechisch „ich finde“; von ‚auffinden‘, ‚entdecken‘) bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen. „Das entspricht dem Wesen der heutigen militärischen Führung, bei dem es um die vorausschauende Überlebenssicherung im Rahmen einer zusammenarbeitsstiftenden Problemlösung geht, für die sich der militärische Führer entschieden hat.“
„Kompetenzentwicklung mit Netz ist möglich und wird immer wichtiger“ meint Oberst des höheren militärfachlichen Dienstes Mag. Mag. Dr. Reinhard Slanic, MBA MSc. Der Electronic (E)-Monolog zur Wissensvermittlung hat sich über den E-Dialog zur E-Kollaboration für den Kompetenzaufbau weiterentwickelt. Die Lernenden organisieren zunehmend ihren Erfahrungsaustausch in Communities of Practice. Dabei wählen sie ihre Ziele, Inhalte, Strategien, Methoden und Kontrollmechanismen in einem gemeinsamen Kommunikationsprozess selbst aus.
Mag.a Christiane Mitterwallner und der Unternehmenscoach Brunello Gianella erläuterten die Bedeutung der Vorbildwirkung von Führungskräften, weil „Menschen keiner Strategie, sondern einem Verhalten folgen“. Leistungswille entsteht nur dann, wenn Motive und Lebensmotive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einklang sind und positive Emotionen daraus erwachsen.
Der Geschäftsführer der Rheinmetall MAN Military Vehicles Österreich GesmbH, DI Bernhard Pöltl, MBA, ermöglichte abschließend Einblicke in die gelebte Personalentwicklung durch „Führung im Umfeld eines internationalen Technologiekonzerns“. Die zwingend erforderlichen Rahmenbedingungen für das Führen mit Weitblick sind Respekt, Vertrauen und Offenheit. Nach Identifizierung der unternehmerischen Persönlichkeit erfolgt die zielgerichtete Förderung und Entwicklung im Unternehmen. Dem Motto, Innovation ist die beste Verteidigung, folgend, verleiht das Unternehmen den Intrapreneur Award. Dazu können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im „Boost your ideas!“ Projekte einbringen. Ausgezeichneten innovativen Geschäftsideen ermöglicht die Rheinmetall Group die Realisierungsmöglichkeit.
Der Zweck des tMAF ist die qualitative Weiterentwicklung des Studienangebotes unter Berücksichtigung der ständigen Veränderungen im Berufsfeld sowie des tatsächlichen gesellschaftlichen Bedarfes. Durch die Einbeziehung der Studierenden, der nationalen bzw. internationalen Streitkräfte sowie von Mitgliedern des Scientific Community unterstützt es die Optimierung des Qualifizierungsprozesses der Absolventinnen und Absolventen der Theresianischen Militärakademie.
Die herausfordernden Themenstellungen und die Atmosphäre an der Theresianischen Militärakademie machen das tMAF zu einer besonderen Veranstaltung für Teilnehmerinnen und Teilnehmer, welche an den Auseinandersetzungen mit den brennenden Fragen für die Auswahl, Ausbildung und Beurteilung von Führungskräften interessiert sind