Bei der kognitiven Kriegsführung wird der menschliche Geist zum Schlachtfeld. Das Ziel ist es, nicht nur zu ändern, was Menschen denken, sondern auch wie sie denken und handeln. Wenn sie nämlich erfolgreich geführt wird, können Überzeugungen und Verhaltensweisen von Einzelpersonen und Gruppen so geformt und beeinflusst werden, dass sie die Ziele des Angreifers begünstigen. Während die Informationskriegsführung darauf abzielt, reine Informationen in allen Formen zu kontrollieren, zielt die kognitive Kriegsführung darauf ab, zu kontrollieren, wie Individuen und Bevölkerungen auf die präsentierten Informationen reagieren. Daher ist das Erreichen und Bewahren einer kognitiven Überlegenheit einerseits der Schlüssel für die Erhöhung der Einsatzbereitschaft von Streitkräften und andererseits die Resilienz unserer demokratischen Gesellschaften.
Call for Papers
Der Call for Papers hatte erstmals globale Reichweite, mit Bewerbungen von möglichen Vortragenden von vier Kontinenten. Das Wissenschaftliche Komitee wählte daraus die Vortragenden für die Gestaltung des Programms, welche aus neun unterschiedlichen Nationen stammten. Das TMAF wurde wie im Vorjahr auch heuer wieder an den ersten beiden Tagen in englischer Sprache durchgeführt. Am dritten Veranstaltungstag erfolgte dann die inhaltliche Vertiefung in deutscher Sprache. Das Programm des Symposiums folgte der gewohnten Sequenz von drei thematisch zusammenpassenden Vorträgen und einer anschließenden Diskussion des Publikums mit den Referentinnen und Referenten.
Die Eröffnung
Am Dienstag, 7. Oktober 2023 eröffnete der Akademiekommandant, Generalmajor Mag. Karl Pronhagl, das Forum und begrüßte das sehr heterogene Teilnehmerfeld. Ein Bläserensemble der Militärmusik Burgenland umrahmte die Veranstaltung musikalisch. Die Keynote von Dr. Hanna Smith, Senior Strategic Advisor des Generalsekretärs der OSCE, leitete die Veranstaltung thematisch mit den aktuellen Sicherheitsherausforderungen Europas durch die bewusste kognitive Beeinflussung bzw. Kriegsführung ein. Oberstleutnant Patrick Hofstätter von der Militärakademie an der ETH Zürich stellte anschließend in seinen Ausführungen fest, dass keine kognitive Dimension der Kriegsführung erforderlich ist. Er begründet das damit, dass menschliche Aspekte der Zivilbevölkerung und der militärischen Akteure betroffen sind und diese ausschließlich in der Landdomäne operieren bzw. wirken.
Den zweiten Themenblock eröffnete Hauptmann Annamaria Sarbu, PhD von der Land Forces Academy „Nicolae Balescu“ Sibiu in Rumänien. Zusammen mit der von ihr betreuten Studierenden, Kadettin Anca Gavrilas, stellten sie den möglichen Einsatz von Werkzeugen der künstlichen Intelligenz zur Erzielung von Vorteilen bei der kognitiven Kriegsführung auf sozialen Medienplattformen vor. Anschließend daran referierte der vormalige Bundeswehrangehörige Philipp Starz, von Traversals Analytics and Intelligence GmbH. Er fordert die Schaffung eines Bewusstseins für hybride Bedrohungen, nachdem davon Gefahr für westliche Demokratien ausgeht, welche weit über einen militärischen Ansatz in mehreren Domänen hinausgeht. Erreicht werden soll das durch diesbezügliche Forschung, dass hybride Bedrohungen durch auf künstliche Intelligenz gestützte Verarbeitung öffentlich zugänglicher Informationen aus dem Internet und den sozialen Medien erkannt und dargestellt werden können. Den Abschluss dieses Themenblocks bildete der Vortragende mit der längsten Anreise, Akira Sano. Er forscht an der Universität von Tsukuba in Japan und präsentierte seine Analyse russischer Kommentare zum Verlauf des Krieges in der Ukraine auf dem Videoportal „YouTube“. Nach den inhaltsschweren Beiträgen beantworteten die Referenten den Fragen des Publikums, bevor es in die stärkende Mittagspause ging.
Den Nachmittag leitete der Risikoanalyst Jozef Hrabina, PhD aus der Slowakei ein. Er ist der Ansicht, dass durch eine unvoreingenommene und analysebasierte Sicht auf die aktuellen geopolitischen Veränderungen, sollten deren Auswirkungen für Demokratien minimiert werden können. Anschließend daran präsentierte Hauptmann Fabio Ibrahim, PhD von Universität der Bundeswehr Hamburg die Ergebnisse seines wissenschaftlichen Reviews bestehender Forschungsarbeiten, wie kognitive Kriegsführung aus psychologischer Sicht definiert wird sowie welche Maßnahmen, Ziele und Strategien dieses Konstrukt umfasst. Den Abschluss dieses Themenblocks bildete der Beitrag von Nino Tsikhelashvili, Mitarbeiterin im Verteidigungsministerium der demokratischen Republik Georgien. Sie ist der Ansicht, dass die kognitive Komponente bei entsprechender Einsatzführung die zerstörerische physische Wirkung auf einen Gegner zur Zielerreichung vervielfachen kann, aber dennoch immer noch unterschätzt wird. Dazu präsentierte sie die Ergebnisse ihres Vergleichs der kognitiven Einsatzführung durch die Russische Föderation gegenüber ihrem Heimatland seit 2008 - mit jenem gegenüber der Ukraine seit 2014 bis heute. Auch dieser Abschnitt wurde mit einer Diskussion mit dem Publikum abgeschossen. Das Abendprogramm war eine Gruppenführung durch die Ausstellung "Von der Kaiserresidenz zur Offiziersschmiede" durch Studierende an der Theresianischen Militärakademie.
Zweiter Veranstaltungstag
Der zweite Veranstaltungstag wurde durch Oberstleutnant im Generalstabsdienst Dr. Martin Böhm und Oberstleutnant Dr. Sönke Niedringhaus aus Deutschland eröffnet. Sie stellten vor wie man Informationen entgegenwirken kann, welche als Waffe gegen die Gesellschaft als Ganzes eingesetzt werden. Demnach sollte die strategische Kommunikation, zentral gesteuert sowohl innerhalb als auch zwischen den Institutionen integriert werden. Darüber hinaus sollten auch zivile Akteure einbezogen werden, dass die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung gegenüber Propaganda und Desinformation gestärkt wird.
Anschließend referierte Oberst Bernhard Schulyok aus dem Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV), welcher dabei von den beiden Miliz-Experten Mag. Lukas Grangl und Dr. Markus Gruber unterstützt wurde. Sie stellten die zentrale Funktion der kognitiven Überlegenheit, durch Beeinflussung von Gegnern in der Informationsumgebung, vor, welche bei der gegenwärtigen militärischen Einsatzführung zur Erreichung strategischer Ziele eingesetzt werden. Die anschließenden intensiven Diskussionen mit dem Publikum folgte wiederum eine lohnende Pause.
Den Nachmittag leitete Christoph Deppe, MA von der Bundeswehr Universität Hamburg ein. In seinen Ausführungen stellte er die Rolle von Desinformation oder andere Arten der Einflussnahme in klassischen und digitalen Medien sowie hybride Bedrohungen und ihre Auswirkungen auf demokratische Systeme vor. Durch die Kenntnis dieser Schwachstellen und der Desinformationstaktiken, welche dafür genutzt werden, sind demnach entscheidend für die Entwicklung wirksamer politischer und verteidigungspolitischer Maßnahmen.
Amber Brittain-Hale, PhD aus den USA präsentierte ihre Erkenntnisse zur Transformation der Kriegsführung. Das geografisch eingrenzbare Schlachtfeld hat sich zu einer komplexen und cyberbasierten Kriegsführung weiterentwickelt, wobei der menschliche Geist und Information als Schlüsselkomponenten dienen. Vor diesem Hintergrund ist zu beurteilen, ob die Theorie von Carl von Clausewitz, „Krieg ein politischer Akt und die Fortsetzung desselben mit anderen Mitteln“, noch zeitgemäß ist. Der Georgier, David Shakarishvili, von der Klaipeda Universität in Litauen setzte fort. Er referierte zu ethischen Aspekten und Normen der Sicherheitspolitik, welche aus mangelnder politischer Kultur und fehlender Bereitschaft der Öffentlichkeit, bisher nicht in der Realität umgesetzt wurden. Dr. Olga R. Chiriac aus den USA stellte abschließend die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit zu den sozialen, ethnischen und kulturellen Elementen, welche im russisch-moldawischen Krieg der 1990er Jahre von russischer Seite als Waffen eingesetzt wurden, vor. Ihre wesentliche Erkenntnis ist, dass eine Strategie die sowohl kognitive Elemente der menschlichen Physiologie und Psychologie ausnutzen, am herausforderndsten und am gefährlichsten sind. Aus diesem Grund sollten kognitionswissenschaftliche Aspekte bei der Rekrutierung und der militärischen Ausbildung berücksichtigt werden.
Dritter Veranstaltungstag
Am dritten Tag erfolgte die inhaltliche Vertiefung zum Thema in deutscher Sprache. Eingeleitet wurde dieser durch Lukas Bittner aus dem BMLV, welcher zum Einsatz des Österreichischen Bundesheers (ÖBH) im Informationsumfeld referierte. Demnach fordert der Einsatz von Streitkräften in modernen Kriegen und Konflikten einen teilstreitkräfteübergreifenden Ansatz in allen Domänen, um kognitive Effekte in der Einsatzführung messen, bewerten, koordinieren, nutzen und abschwächen zu können. Der aktuelle Krieg in der Ukraine demonstriert an multiplen Beispielen die immanente Bedeutung des Einsatzes von Streitkräften im Informationsumfeld.
Fortgesetzt wurde die thematische Auseinandersetzung mit dem Beitrag der Brüder Mag. Thomas Goiser, Unternehmens- und PR-Berater sowie Florian Goiser, Oberst des Generalstabsdienstes im BMLV. An ausgewählten historischen politischen Signalen mit internationalen Auswirkungen präsentierten und diskutierten sie Optimierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten bestehender Kommunikationskanäle und –instrumente in Österreich. Damit sollte den aktuellen medialen und (geo)politischen Entwicklungen und potenziellen Bedrohungen begegnet werden.
Die Herausforderung für militärische Führungskräfte im Einsatz ist höchstwahrscheinlich die moralische Entscheidung unter Unsicherheit. Mag. Lisa Maren Tragbar von der Universität Wien ist der Ansicht, dass vor allem angehende Entscheidungsträger durch gezielte Trainings darauf vorbereitet werden sollen, mit Informationen kritisch umzugehen, um sich so vor Manipulationen zu schützen.
Major des Generalsstabsdienstes Albin Rentenberger von der Landesverteidigungsakademie präsentierte die Ergebnisse seiner Forschung zum militärischen Führungsprinzip der Täuschung zunächst an historischen Ereignissen. An Beispielen aus dem gegenwärtigen Konflikts in der Ukraine demonstrierte er, welche völlig neue Möglichkeiten moderne Technologien bieten, den Gegner und die Weltöffentlichkeit zu täuschen. Daher wir von beiden Konfliktparteien so entschlossen um deren Darstellung, aber auch um die Dominanz im Informationsraum so entschlossen gekämpft. Anschließend an diesen umfangreichen Input erfolgte eine sehr ausführliche Diskussion, nachdem diese die Betroffenheit offensichtlich getriggert wurde.
Nach der anschließenden Pause erfolgte der letzte Themenblock, welcher ausschließlich durch Studierende und Lehrpersonal des FH-Bachelorstudiengang für informations- und kommunikationstechnologische Führung gestaltet wurde. Die Einleitung erfolgte durch die Militärakademiker Dominic Scherzer, Martin Schoberegger und Michel Wagner. Die Studierenden präsentierten die Entwicklungen und Herausforderungen bei der Nutzung von autonomen Systemen und künstlicher Intelligenz im militärischen Kontext, wofür eine kritische Auseinandersetzung mit Vertrauen und Nutzbarkeit unerlässlich ist. Nämlich nur so kann das Vertrauen in die Maschinen gewährleistet und eine erfolgreiche Interaktion zwischen Mensch und Maschine erreicht werden.
Oberstleutnant des Generalstabsdienstes Dr. Alexander Treiblmaier setzte fort mit seiner Forschungsarbeit zur Bedeutung der geistigen Landesverteidigung, angesichts der Bedrohung durch moderne Formen der kognitiven Kriegsführung und der potenziellen Gefährdung der staatlichen Souveränität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Abschließend stellte der Studiengangsleiter, Oberst des Generalstabsdienstes Georg Kunovjanek, PhD die Einflussnahme der kognitiven Kriegsführung auf die Führungskraft, Führungsprozess und die Führungsentscheidung dar. Im Rahmen seiner Ausführungen stellte erste mögliche Ableitungen vor, wie den Auswirkungen der kognitiven Kriegsführung auf die Führung, bereits in der Ausbildung, entgegen zu treten ist und wird.
Österreich bzw. die EU stehen vor immer komplexer werdenden Herausforderungen der äußeren und inneren Sicherheit. Die Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften muss in den Studiengängen eine praxisbezogene Ausbildung auf Hochschulniveau gewährleisten. Der wissenschaftliche Dialog im Rahmen des TMAF trägt dazu bei, dass die erforderlichen Fähigkeiten des Berufsfeldes abgeleitet und vermittelt werden, dass von den Absolventen die aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Praxis gelöst werden können. Das große internationale Interesse sowie die positiven Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind eine weitere Bestätigung des gewählten Formats. Aus diesem Grund setzen wir den internationalen Diskurs im Folgejahr fort. Das Titel des TMAF 2024 ist „"Manoeuvre Warfare and Manoeuvrist Approach"“ und findet von 7. – 10. Oktober 2024 statt.
„Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenbleiben ein Fortschritt, Zusammenarbeiten ein Erfolg.“
(Henry Ford)