"Manoeuvre Warfare and Manoeuvrist Approach"
Das diesjährige TMAF hatte das Thema "Manoeuvre Warfare and Manoeuvrist Approach" und fand von 8. bis 10. Oktober 2024 an der TherMilAk statt. Für westliche Strategen ist der „Manoeuvrist Approach“ die grundlegende Theorie. Die NATO Allied Joint Doctrine for Land Operations erläutert, dass der “manoeuvrist approach” ein "indirekter und anspruchsvollerer Ansatz" ist, welcher sich darauf konzentriert, „Stärke gegen mögliche Verwundbarkeiten“ einzusetzen sowie die „Bedeutung des Zusammenhalts und des Willens anerkennt". Der „Manoeuvrist Approach“ wird als der intellektuellere Ansatz im Vergleich zu anderen Konzepten wie Zermürbung oder Abnützung verstanden. Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine hat jedoch sowohl die Realität als auch die Notwendigkeit von Zermürbungskonzepten gezeigt und wirft daher die Frage auf: Is Manoeuvre dead?
Call for Papers
Mit dem Call for Papers wurden Experten und Wissenschaftler bereits zu Jahresbeginn zur Teilnahme eingeladen. Die Bewerbung erfolgte mit dem Einreichen eines vorgegebenen Abstracts zum Thema in deutscher - oder englischer Sprache. Heuer wurde eine unerwartet hohe Anzahl an Bewerbungen von Vortragenden zu dieser Thematik eingereicht. Das wissenschaftliche Komitee bewertete die eingereichten 53 Abstracts und erstellte ein Programm mit Vortragenden aus 14 Nationen. Aufgrund der hohen Anzahl qualitativ anspruchsvoller Beiträge wurden daher erstmals bis zu drei parallel stattfindenden Vortragsreihen mit thematischen Schwergewichten gebildet. Das TMAF wurde wie im Vorjahr auch heuer wieder an den ersten beiden Tagen in englischer Sprache durchgeführt. Am dritten Veranstaltungstag erfolgte dann die inhaltliche Vertiefung in deutscher Sprache. Das Programm des Symposiums folgte der gewohnten Sequenz von drei thematisch zusammenpassenden Vorträgen und einer anschließenden Diskussion des Publikums mit den Referentinnen und Referenten.
Eröffnung
Am Dienstag, 8. Oktober 2024, eröffnete der Leiter des Instituts für Offiziersausbildung, Oberst des Generalstabsdienstes Dr. Markus Reisner PhD, das Forum und begrüßte das internationale Teilnehmerfeld. Anschließend daran richtete sich der ständige Vorsitzende des Militärausschusses der Europäischen Union (EUMC), General Robert Brieger, mit einer Videobotschaft an die Teilnehmer. Die Keynote durch den stellvertretenden Generalsstabschef, Generalleutnant Bruno Hofbauer, leitete die Veranstaltung thematisch ein. Anschließend daran stellte die Historikerin, Dr. Simone Weninger, ihre Analyse zur Entwicklung der Landmanöver von der Antike bis ins 20. Jahrhundert dar. Die Eröffnung wurde durch ein Bläserensemble der Militärmusik Burgenland musikalisch umrahmt.
Konzepte zur Manöverkriegsführung
Den ersten Themenblock leitete Oberstleutnant Dr. Tom Simoens von der Royal Military Academy aus Belgien ein. Er ist der Ansicht, dass die gescheiterte russische Invasion im Februar 2022 sowie die erfolglose ukrainische Gegenoffensive im Juni 2023 die Grundprinzipien der westlichen Militärdoktrin, die auf dem „Manoeuvrist Approach“ beruht, ernsthaft in Frage stellt. Daher ist es unerlässlich, sich wieder auf den Stellungskrieg zu besinnen, für den der Erste Weltkrieg als wertvolle historische Fallstudie dient.
Oberst in Ruhe Friedrich K. Jeschonnek aus Deutschland, von der European Military Press Association (EMPA), präsentierte die Ableitungen und Lehren aus der Analyse des Verteidigungskonzepts der NATO während des Kalten Krieges. Dazu zählen seiner Ansicht nach vor allem eine klare und einheitliche Terminologie und die Anwendung der Auftragstaktik auf allen Führungsebenen.
Oberstleutnant Jeroen Verhaeghe vom Belgian Defence College referierte zum Widerspruch zwischen den derzeit vermittelten NATO-Konzepten zur Manöverkriegsführung und den prägenden Einsatzerfahrungen aus Stabilisierungs- und Antiterroreinsätzen der letzten 30 Jahre. Nach den inhaltsschweren Beiträgen beantworteten die Referenten den Fragen des Publikums, bevor es in die stärkende Mittagspause ging.
Zermürbungskrieg versus Manöverkriegsführung
Den Nachmittag leitete Prof. Dr. Klaus Beckmann, Präsident der Bundeswehruniversität Hamburg, mit seinen Ausführungen zur unzureichenden Nutzung von Wargames als reines Trainingsmittel und Werkzeug zur Konzeptentwicklung. Er ist der Ansicht, dass die Militärwissenschaft vermehrt Wargaming für Laborexperimente zur Überprüfung von Hypothesen nutzen sollte. Damit können die Fallzahlen gewonnen werden, welche im realen Konflikt nicht generiert werden können.
Andre Berntsen, MA, von der Militärakademie an der ETH Zürich leitete aus dem gegenwärtigen Konflikt in der Ukraine ab, dass diese den Informationsraum für die Sicherstellung der Ressourcen durch den Westen nutzt. So soll der statische Zermürbungskrieg überwunden und zur Manöverkriegsführung zurückgekehrt werden. Darüber hinaus ist er der Ansicht, dass Zermürbung kein eigenständiges Konzept, sondern ein Teil der Manöverkriegsführung und daher immer einzubeziehen ist.
Der Risikoanalyst Jozef Hrabina, PhD, aus der Slowakei vermisst das langfristige Denken beim Konflikt in der Ukraine, nachdem zunächst über die Nachkriegsordnung debattiert wurde, bevor der Konflikt wirklich beendet werden konnte. Zusätzlich haben die Streitkräfte der EU die Wiedererlangung der Abwehrbereitschaft nach der Besetzung der Krim durch Russland vernachlässigt. Hingegen sammeln die russischen Streitkräfte laufend Kampferfahrung gegen einen mit NATO-Gerät ausgestatten und NATO-Verfahren kämpfenden Gegner. Darin sieht Hrabina eine latente Gefahr für die Bündnismitglieder in der Zukunft. Auch dieser Abschnitt wurde mit einer Diskussion mit dem Publikum abgeschossen.
Wiedererlernen der konventionellen Kriegsführung
Janos Kemeny, PhD, von der Ludovika Universität in Budapest stellte fest, dass die Westmächte den zwischenstaatlichen Krieg zwischen der Ukraine und Russland einerseits als eine große Bedrohung ansehen; andererseits gab es aber politisch-ökonomisch-gesellschaftliche Prozesse, die zu einer abnehmenden Bereitschaft zum Kampf in diesen Staaten führten. Das erfordert eine Neuausrichtung in der konventionellen Kriegsführung auf strategischer und gesellschaftlicher Ebene. Die gesamte Gesellschaft sollte auf die konventionelle Kriegsführung vorbereitet werden, einschließlich der industriellen Mobilisierung und der Rekrutierung von Soldaten.
Dr. Wolfgang Müller vom German Institute for Defense and Strategic Studies (GIDS) referierte zu den erforderlichen Maßnahmen, wenn autoritäre Mächte neben uneingeschränkter hybrider Kriegsführung die Wirtschaft als Waffe einsetzen. Daher müssen die Instrumente der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen, die von einer autoritären Macht gegenüber liberalen Demokratien angewandt werden, beurteilt und gefolgert werden, wie der Bedrohung durch Abschreckung und Verteidigung begegnet werden kann.
Den Abschluss in diesem Panel machte der Studierende Anghel Liviu-Florin von der Davila University of Medicine and Pharmacy in Bukarest. Der Einsatz neu entwickelter und unkonventioneller Waffentypen auf den heutigen Kriegsschauplätzen erfordert eine Anpassung der Protokolle sowie des militärmedizinischen Personals auf die noch nie dagewesenen Herausforderungen an den Einsatzorten. Die militärischen Akteure jedes Staates sollten sich bemühen, innerhalb der Militärbündnisse zusammenzuarbeiten, um die neuen Herausforderungen an den Einsatzorten zu kommunizieren und fortschrittliche Protokolle für die militärmedizinischen Konzepte zu entwickeln.
Verteidigungspolitik
Die Politikwissenschaftlerin aus den USA, Amber Brittain-Hale PhD, führte aus, dass die gegenwärtige Kriegsforschung von Männern dominiert wird. Das widerspricht der zunehmenden Feminisierung strategischer Rollen in Verteidigung und Diplomatie. Dadurch wird der Frieden und die Sicherheit aus ihrer Sicht gefährdet, weil die Erkenntnisse von 50 % der Bevölkerung in verteidigungs- und politischen Strategien ignoriert werden.
Kapitän zur See Peter Papler aus dem Verteidigungsministerium in Slowenien berichtet von einer Lücke zwischen Strategie und strategischer Kultur, wenn man die Verteidigungsdoktrin und die Verteidigungspolitik vergleicht. Diese strategische Unfähigkeit ist ein Mangel an militärischen und/oder intellektuellen Fähigkeiten. Demnach sollte der Staat die Voraussetzungen für eine Verbesserung der strategischen Kultur schaffen, weil eine schlecht umgesetzte Strategie, egal wie clever sie sei, leider auch wertlos ist.
Associate Professor Dr. Morten Braender von der Aarhus Universität in Dänemark präsentierte die Ergebnisse seiner Forschung, welche Art von Motivation und Werten zukünftige militärische Führungskräfte aufweisen sollen. Damit soll der Rekrutierungspool, im Wettbewerb mit öffentlichen und privaten Arbeitgebern, erweitert werden und Menschen mit der richtigen Motivation anziehen und an die Streitkräfte gebunden werden. Nach diesem Input stellten sich die Vortragenden wiederum den Fragen der Teilnehmer, und anschließend ging es in die verdiente Pause.
Den letzten Beitrag dieses gehaltvollen Tages bildeten die Ausführungen der vormaligen Polizistin Vanessa Maria Landmann und Oberst Bernhard Schulyok, MA. Dieses Vortragsteam stellte mögliche Methoden zur Erreichung kognitiver Resilienz vor, um Fehleinschätzungen auf ein Minimum zu reduzieren und die Geschwindigkeit sowie die Effektivität von Entscheidungen militärischer Führungskräfte zu maximieren. Auch dieser Abschnitt wurde mit einer Diskussion mit dem Publikum abgeschossen. Das Abendprogramm war dann eine Gruppenführung durch die Ausstellung "Von der Kaiserresidenz zur Offiziersschmiede" durch Angehörige der TherMilAk.
Ableitungen für Landkriegsoperationen
Den zweiten Veranstaltungstag leitete Dr. Martin C. Wolff, Leiter des Internationalen Clausewitz-Zentrums an der Führungsakademie der Bundeswehr, mit seinem Vortrag ein. Wolff ist der Ansicht, dass das Prinzip der Überlegenheit des Westens bzw. der NATO vor allem in der Ukraine auf vielfältige Weise in Frage gestellt wird. Der Einsatz von Massenkräften in Kombination mit Sensoren, die Fähigkeit, lange und kostspielige Kriege zu führen, und die Herausforderung an mehreren globalen Standorten gleichzeitig wirksam werden zu wollen, stellen dieses Prinzip in Frage. Er ist daher der Ansicht, dass Demokratien die Fähigkeit entwickeln müssen, lange, multilokale und kostspielige Kriege zu führen, welche eine dedizierte Kriegswirtschaft erfordern. Darüber hinaus sind auch Konzepte zu erstellen, welche eine Kriegsphase nach einer Manöverphase zurück zur ursprünglichen Gesellschaft und Wirtschaft beeinflussen. So sollen die Fähigkeiten zum Bestehen von nachhaltigen, langfristigen Konflikten und Kriegen zu entwickelt werden.
Daran anschließend präsentierten Ülle Säälik, PhD, und Major Karl-Erik Kirschbaum, MA, die Ergebnisse ihrer umfassenden Studie zu Manifestationen des Manoeuvrist Approach in den Lehrplänen an der Militärakademie in Estland. Die Prinzipien des Manoeuvrist Approach sind sehr relevante militärische Kompetenzen von Offizieren in der Gegenwart und der Zukunft. Daher muss dieser Ansatz bestmöglich und nachhaltig in der Ausbildung vermittelt werden, dass die zukünftigen Offiziere darauf vorbereitet werden, ihre Gegner zu überlisten und so den Feind auf dem Schlachtfeld zu besiegen. Somit wird auch der zunehmenden Bedrohung durch Russland Rechnung getragen.
Oberst Gianluca Bonci von der Militärakademie für die italienischen Landstreitkräfte in Turin setzte mit seinen wichtigsten doktrinären und technologischen Ableitungen für Landkriegsoperationen aus dem russisch-ukrainischen Konflikt fort. Bonci ist der Ansicht, dass der Verlauf gegenwärtiger Landoperationen im Ukraine-Konflikt und der sogenannte „Manöver-Ansatz“, der eine der Säulen der NATO-Doktrin darstellt, einer sorgfältigen Analyse und Reflexion unterzogen werden müssen. Somit soll festgestellt werden, ob der Manöver-Ansatz weiterzuverfolgen oder an die von Zermürbung geprägte Realität anzupassen ist. Dieser Abschnitt wurde wiederum mit einer Diskussion mit dem Publikum abgeschossen, bevor es in die stärkende Pause ging.
Lehren aus der russischen Kriegsführung
Der Leiter des Instituts für Offiziersausbildung, Oberst des Generalstabsdienstes Dr. Markus Reisner, PhD, setzte fort. Reisner präsentierte seine Ableitungen nach 959 Tagen Abwehrkampf der Ukraine gegen den russischen Angriff auf taktisch/operationaler und strategischer Ebene.
Oberst des Generalstabsdienstes Mag. Jürgen Scherl und Oberstleutnant des Generalstabsdienstes Georg Stiedl, MA, vom Institut für höhere militärische Führung an der LVAk präsentierten die Ergebnisse zum Wesen, Grundsätzen, Aufbau sowie der grundlegenden Kampfweise russischer Verbände in der Verteidigung, gemäß der russischen Militärdoktrin. Am Beispiel der Division bzw. der Brigade/Regiment stellten sie die Stärken und die Schwächen der russischen Verteidigung dar.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Schwedischen Verteidigungsuniversität und Forschungsstipendiat am John-Lukacs-Institut für Strategie und Politik in Budapest, Krisztian Jojart, setzte fort. Jojart präsentierte die Ableitungen russischer Militärtheoretiker zum gegenwärtigen Stellungskrieg in der Ukraine. Russland hat im Verlauf des Krieges gegen die Ukraine, im Gegensatz zu westlichen Militärs, auf Basis hoher eigener Humanopfer, bereits Einsatzerfahrungen gesammelt. Daher sind die russischen Lehren aus der Kriegsführung und deren Möglichkeiten zur Überwindung des „Patts“ auf dem transparenten Schlachtfeld der Zukunft auch für westliche Militärs sehr wertvoll. Die mögliche Weiterentwicklung der russischen Doktrin wird somit vorhersagbarer und eigene Ableitungen können getroffen werden. Auch dieser Abschnitt wurde mit einer intensiven Diskussion abgeschlossen, bevor es in die stärkende Mittagspause ging.
"Manoeuvrist Approach" und "Attrition Warfare"
Severin Pleyer vom GIDS präsentierte ein bisher wenig beachtetes Phänomen bei der Analyse des Krieges in der Ukraine, nämlich der Einsatz taktischer Atomwaffen. Obwohl Atomwaffen moralisch in Frage gestellt werden sollten, haben sie einen militärischen Wert für einen manövrierfähigen Ansatz der taktischen Kriegsführung im 21. Jahrhundert. Hinzu kommt, dass der Rückgang von Rüstungskontrollabkommen die Wahrscheinlichkeit, dass Atomwaffen auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden, erheblich erhöht. Daher müssen diese bei der Verteidigung des NATO-Territoriums berücksichtigt werden.
Der kroatische Offiziersanwärter Mateo Milakovic widerlegte in seinen Ausführungen die Ansicht, dass die Manöverstrategie aufgrund des technologischen Fortschritts und der Urbanisierung irrelevant geworden ist. Moderne militärische Konflikte, wie in der Ukraine und in Gaza, beinhalten sowohl Zermürbungs- als auch Manöveraspekte. Die Zermürbungsphase ist länger und daher sichtbarer, was zu dem falschen Schluss führen kann, dass der Krieg von Natur aus zermürbend ist. Nur durch das Manöver wurden in beiden Konflikträumen bisher Entscheidungen erreicht und Gelände in Besitz genommen.
Hauptmann Johannes Ginthör, MA, von der TherMilAk stellte in seinen Ausführungen die Zusammenhänge der theoretischen Modelle "Manoeuvrist Approach" und "Attrition Warfare" dar und welche Rückschlüsse sich daraus für die Ausbildung militärischer Führungskräfte ziehen lassen. In einem modernen, komplexen operativen Umfeld müssen militärische Führungskräfte nämlich nicht nur mit den theoretischen Grundlagen vertraut sein, sondern diese auch ständig anpassen und neu bewerten können. Das kritische Einordnen und Nutzen von bewährten Einsatzgrundsätzen unterstützten dieses Bestreben und steigert die Effizienz des Österreichischen Bundesheeres als Teil des gesamtstaatlichen Handelns.
Wiedererlangung der Manövrierfähigkeit
Oberleutnant Stefan Fürst vom Panzerbataillon 14 präsentierte die erforderlichen Konstruktionsmerkmale für Panzer, damit diese auf den Schlachtfeldern des 21. Jahrhunderts, welche von Drohnen und Loitering Munition geprägt sind, wieder manövrierfähig zu werden. Darüber hinaus müssen aus dem Ukrainekonflikt abgeleitete Taktiken, Techniken und Verfahren der Panzertruppen in die Ausbildung zur Herstellung der Einsatzbereitschaft von Soldaten einfließen.
Anschließend führten die Marineoffiziere Dr. Tobias Kollakowski, Rainer Preuß und Stefan Glufke vom GIDS aus, dass die gegenwärtigen Gefechte auf See fast ausschließlich durch die Logik der Zermürbung bestimmt wurden. Die drei Referenten sind der Ansicht, dass nur durch die Kombination von Zermürbung und Manöver die Seekontrolle verwehrt, errungen und zur Neutralisierung der Seestreitkräfte des Gegners ausgenutzt werden können. Jedoch müssen die westlichen Seestreitkräfte wieder lernen, Seekriegsführung mit hoher Intensität zu betreiben und die Funktionen der Kriegsführung, wie Manöver und Feuer, zu nutzen, um einen operativen Vorteil gegenüber dem möglichen Gegner zu erlangen.
Oberst Bernhard Schulyok, MA, und die beiden Milizexperten Wachtmeister Dr. Lukas Grangl sowie Korporal Dr. Markus Gruber stellten in ihren Ausführungen die Ergebnisse ihrer Untersuchung dar, wie und ob die Prinzipien des Manoeuvrist Approach, ähnlich wie beim Schach, auch heute noch zur Lösung komplexer Situationen beitragen können. Sie sind der Ansicht, dass die geschickte Kombination von Position, Abnutzung und Manöver, die Ausnutzung von Vorteilen bei der Konfliktlösung ermöglicht. Allerdings führen nur die Wahrung der Manövrierfähigkeit und das Manöver selbst zur Erreichung der Ziele und zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Aus diesen Gründen müssen zukünftige Führungskräfte verstehen, dass Informationen als eines der Machtinstrumente durch Informationsmanöver als Mittel zum Handeln und zur Erzeugung von Effekten in der kognitiven, informationellen (virtuellen) oder physischen Dimension wesentlich zur Erreichung der kognitiven Überlegenheit beitragen. Die Kenntnis und Anwendung von Informationsmanövern ist daher ein integraler Bestandteil jedes Führungs- und Zielsetzungsprozesses.
Exhibition „Modern Warfare“
Am Abend des zweiten Veranstaltungstages fand am Campus der TherMilAk eine Exhibition von eingeladenen Unternehmen wie Aaronia, Turbulence Solutions, Schiebel, Palfinger, Argus, IABG sowie ESLIAT statt. Diese Betriebe erzeugen unter anderem Produkte für das gegenwärtige Einsatzspektrum von Streitkräften, dass diese in modernen Konflikten bestehen könnten. Eingeleitet wurde dieser Programmpunkt durch Oberst Dr. Markus Reisner mit einem Pressegespräch mit nationalen Medienvertretern sowie Angehörigen der EMPA.
Streitkräfteentwicklung
Den dritten Veranstaltungstag leitete Oberstleutnant Patrick Hofstetter, PhD, von der Schweizer Militärakademie an der ETH in Zürich ein. Er stellte zunächst das gemeinsam entwickelte allgemeine Modell des Zusammenspiels taktischer und strategischer Innovationen innerhalb von Streitkräften im Verlauf von Konflikten vor, welche dann an historischen Fällen auf Gültigkeit überprüft wurden. Die daraus generierten Ableitungen sind mögliche Innovationen, um Pattsituationen wie in der Ukraine zu überwinden und Manöveransätze wieder effektiv zu machen.
Oberstleutnant Sebastian Hagen aus Deutschland präsentierte, dass angesichts eines möglichen Konflikts mit der Russischen Föderation die NATO der Agilität Vorrang vor der statischen Verteidigung einräumen muss. Er stellte die diesbezüglichen ab- und eingeleiteten Maßnahmen der Bundeswehr vor. Mit der Einführung einer Kategorie mittlerer Streitkräfte innerhalb der Bundeswehr, kann die Fähigkeit der NATO den Manöveransatz, welcher für schnelle und effektive Operationen von entscheidender Bedeutung ist, aufrechterhalten und dazu beitragen einen möglichen statischen Zermürbungskrieg zu vermeiden.
Hauptmann Karlotta Garinet, Psychologin der deutschen Bundewehr, präsentierte die einflussreiche Rolle der Medienberichterstattung bei der Gestaltung des Diskurses über Zermürbungs- und Bewegungskriegsstrategien in zeitgenössischen militärischen Kontexten. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass politische Entscheidungsträger und militärische Führungskräfte den Einfluss von Medienberichten auf die Formulierung militärischer Strategien erkennen und kritisch analysieren. Durch das Verständnis der Auswirkungen von Medienberichten können sie fundiertere und differenziertere Ansätze für die erfolgreiche Bewältigung zeitgenössischer Konfliktszenarien entwickeln.
Umdenken in der Aus-, Fort- und Weiterbildung
Hauptmann Luca Sandri, BA, stellte die Strategie zur aktiven Verteidigung der Schweizer Armee in einem modernen Umfeld vor, welcher von Urbanisierung, Zentralisierung und Vernetzung gekennzeichnet ist, vor. Der Krieg in der Ukraine lässt die Annahme zu, dass der Bewegungskrieg tot sei. Obwohl er in der Anfangsphase Elemente schneller Aktionen aufwies, würde die derzeitige operative Pattsituation diese These unterstreichen. Aus diesen Gründen ist es unerlässlich, dass Landmanöver gut mit den Auswirkungen in allen anderen Domänen koordiniert werden. Am Beispiel der Schweizer Armee zeigte er auf, dass der Bewegungskrieg lediglich im Lichte der modernen Operationsführung neu gedacht werden muss und keineswegs an Relevanz verloren hat.
Oberst des Generalstabsdienstes Reinhard Janko, MA, vom Institut für Offiziersweiterbildung an der TherMilAk, fordert ein Umdenken in der Aus-, Fort- und Weiterbildung militärischer Führungskräfte. Die Taktikausbildung im Österreichischen Bundesheer in den letzten Jahrzehnten war von der Idee des Manövers geprägt, ermöglicht durch die aktive Nutzung des Kampfes der verbundenen Waffen. Seit dem Ukrainekrieg muss aber von einem „gläsernen Gefechtsfeld“ ausgegangen werden, welche das überraschende Auftreten von Streitkräften unmöglich gemacht hat. Ein weiterer Aspekt ist der massive Einsatz von Steilfeuer, geleitet mittels Drohnen, wodurch sichere Rückzugs- bzw. Bereitstellungsräume praktisch verschwunden sind. Aus diesem Grund müssen die gegnerischen Effekte in der Ausbildung schonungslos dargestellt werden, sodass Schwächen in der eigenen Planung und Gefechtsführung aufgezeigt werden. Entscheidend ist dabei eine Überlegenheit des Gegners in Teilbereichen zu akzeptieren und nicht mehr länger mit unterlegenen oder in der Fähigkeit beschränkten Feindgruppierungen zu arbeiten. Eine Inkaufnahme des kontrollierten Scheiterns der Übungstruppe ist notwendig, um das gewünschte Umdenken zu erreichen.
Oberst des Generalstabsdienstes Professor (FH) Ing. Mag. (FH) Georg Kunovjanek, MSD PhD, Studiengangsleiter des FH-BaStg Mil-IKTFü an der TherMilAk, stellte eine Möglichkeit zur Wiedererlangung der Manöverkapazität am modernen Gefechtsfeld vor. Das Prinzip von Feuer und Bewegung fußt auf Informationsüberlegenheit, wofür auf dem modernen Gefechtsfeld von allen Konfliktparteien ein großes Portfolio an Sensoren eingesetzt wird. Diese Parität in der Informationsbeschaffung führt daher zwangsläufig vom Manöver in die Abnutzung, welche das Element Bewegung fast ausschließlich durch den Einsatz von Feuer ersetzt. Die Antwort auf diese Form der bewaffneten Auseinandersetzung scheint ein altes Konzept der Roten Armee zu sein, nämlich Sturmabteilungen. Das sind Elemente die auf Grund ihrer Zusammensetzung in die Lage versetzt werden, auch in einem Konflikt, welcher primär auf Abnutzung des Gegners ausgerichtet ist, zu manövrieren und Erfolge auf der taktischen Ebene zu erzielen. Diese Erkenntnis in Verbindung mit dem Bewusstmachen eines anderen militärischen Mindsets der russischen Streitkräfte soll helfen diese Ausformung des bewaffneten Konfliktes zu verstehen und sich besser auf einen Gegner mit diesen Voraussetzungen (z.B. Abnutzung als primäre Strategie unter hoher Verlustbereitschaft) vorbereiten zu können.
Umfassendes Denken von Neuem
Hon. Prof. Mag. (FH) Dr. Alexander Treiblmaier, MA MSc vom FH-BaStg Mil-IKTFü an der TherMilAk stellte Möglichkeiten vor, wie angehende militärische Führungskräfte effektiv auf die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in die militärische Führung vorbereitet werden sollten. Der Einsatz der KI erfordert aus seiner Sicht einerseits ein tiefes Verständnis für die ethischen und kulturellen Auswirkungen. Andererseits erfordert die revolutionäre Entwicklung der KI eine kontinuierliche Anpassung der trainierten Kompetenzen von militärischen Führungskräften, wofür Führungskräfte sowohl technisches Grundlagenwissen, als auch ein tiefes Verständnis für die ethischen und sozialen Implikationen der KI besitzen müssen.
Der Jugendinformationsoffizier der Bundeswehr, Hauptmann Alexander Schäbler, MA, präsentierte die Ergebnisse seiner kritischen Untersuchung der Abhängigkeit des westlichen Militärs von der manöverorientierten Kriegsführung, wie sie von der NATO definiert wird. Jahrzehnte westlicher Militärplanungen in Friedenszeiten wurden durch eine jüngste Renaissance der Zermürbungskriegsführung in Frage gestellt, wie sie im Krieg Russlands gegen die Ukraine zu beobachten war. Schäbler ist der Ansicht, dass die manöverorientierte Kriegsführung ein Mittel zum Zweck neben anderen ist. Sie sollte aber nicht starr verfolgt werden, wenn dabei tragfähige Alternativen ignoriert werden, wie z. B. die Zermürbungskriegsführung, die hybride Mittel zur Durchsetzung eines positiven strategischen Ergebnisses ermöglichen kann. Aus diesem Grund muss die Militärdoktrin neu ausgerichtet und angepasst werden, um für die künftigen militärischen Herausforderungen bestmöglich gewappnet zu sein.
Oberst des Generalstabsdienstes Matthias Puschnig, MA, aus dem Bundesministerium der Verteidigung in Deutschland hielt den abschließenden Vortrag des diesjährigen TMAF. Die derzeitige Statik des Zermürbungskrieges in der Ukraine bedeutet aus seiner Sicht keine vollständige Abkehr vom Bewegungskrieg. Ein umfassender Bewegungskrieg basiert auf einer Streitkräfteplanung, welche dann befähigt sind in modernen konventionellen Konflikten flexibel und mobil zu agieren und so die ressourcenintensive Statik des Zermürbungskrieges vermeiden. Puschnig ist der Ansicht, dass es aber derzeit in Europa weder ein stabiles strategisches Gleichgewicht gibt, noch die Voraussetzungen für dessen Wiederherstellung gegeben sind. Ein solcher Zustand kann nur durch die Rückkehr zu einem neuen und umfassenden denken des Bewegungskriegs auf allen Ebenen – in politischer, strategischer, operativer und taktischer Hinsicht – erreicht werden. Um den Weg dafür zu ebnen, müssen die notwendigen Voraussetzungen in allen relevanten politischen Bereichen und auf allen Ebenen der Sicherheitsarchitektur geschaffen werden. Trotz extrem viel Input an diesem Tag und fortgeschrittener Zeit wurde gerade nach diesem Abschnitt besonders viel nachgefragt und diskutiert.
Mission Vorwärts
Derzeit arbeiten viele Nationen der westlichen Wertegemeinschaft intensiv an den Ableitungen aus dem Konflikt in der Ukraine für die zukünftige Landkriegsführung und den Konsequenzen für Streitkräfteentwicklung. Die Beiträge des TMAF werden veröffentlicht und haben damit einen nachhaltigen Effekt. Das TMAF orientiert sich bei der Themenwahl an den gegenwärtigen Herausforderungen militärischer Führungskräfte, welche zum Bestehen in möglichen zukünftigen Einsätzen befähigen soll. Die Auseinandersetzung auf wissenschaftlichen Niveau schafft somit wichtige Grundlagen für die Herstellung der Einsatzbereitschaft von Streitkräften und haben daher auch einen Mehrwert für das Österreichische Bundesheers. Bestätigt wird die Relevanz der Veranstaltung einerseits durch die Teilnahme des stellvertretenden Generalstabschefs, Generalleutnant Mag. Bruno Hofbauer, mit einer Keynote, andererseits durch die zahlreichen positiven Rückmeldungen aus dem In- und Ausland, welche den eingeschlagenen Weg bei der Durchführung des TMAFs bestätigen. Das TMAF 2025 findet von 6. – 7. Mai 2025 statt. Das Thema lautet: „WarTech Nexus: Industrialising the Future of Autonomous Warfare“.
Es ist nicht genug zu wissen, man muß auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun.
(Johann Wolfgang von Goethe)